Zwei Höfe im Vergleich: Wien und Versailles
Grete Klingenstein
Grete Klingenstein, Zwei Höfe im Vergleich: Wien und Versailles, dans Francia, n° 32/2, année 2005.
Extrait de l’article
Der Soziologe Norbert Elias hat mit seiner 1969 erschienenen Studie über die höfische Gesellschaft im Frankreich Ludwigs XIV. den Hof als einen Gegenstand der modernen Frühneuzeit-Forschung etabliert. Seither sind Etikette, Zeremoniell und Ritual, Rang, Ehre und Prestige, Repräsentation von Macht und Inszenierung von Herrschaft unter Mithilfe der Diener Gottes und der schönen Künste, Zeichen, Symbole, Bauwerke und Denkmäler, Propaganda und Kommunikation, Feste, Feiern und Alltag, dann Karrieren, Patronage und Klientel, »Machtmakler« (power brokers) und Günstlinge, das Wirken und die Schicksale von Frauen und nicht zuletzt Raum- und Wohnstrukturen am Hof im Blickfeld einer Forschung, die ihre Konzepte und Instrumente längst nicht mehr allein der Soziologie, sondern vornehmlich der Anthropologie verdankt.
Die heute weit verzweigte Hof-Wissenschaft hat sich in Detailstudien, seien es Monographien oder Artikel in Sammelwerken, einzelner Höfe, sozusagen der nationalen Varianten dieses gemeineuropäischen Phänomens, angenommen (z. B. die Serie der Residenzenforschung der Göttinger Akademie der Wissenschaften seit 1990, John Adamson 1999). Wie anders hätte man auch vorgehen sollen, als die frühere, an den Rändern der Nationalgeschichten angesiedelte Hof-Literatur zu sichten, an längst in Druck vorliegende Quellencorpora die neuen Interessen und Fragestellungen heranzutragen und überhaupt neue Quellen zu erschließen?