Brautfahrten. Grenzüberschreitungen und Fremdheitserfahrungen adliger Frauen in der Frühen Neuzeit
Christiane Coester
Christiane Coester, "Brautfahrten. Grenzüberschreitungen und Fremdheitserfahrungen adliger Frauen in der Frühen Neuzeit", Francia 35, 2008
Extrait de l’article
Der Gesandte des Herzogs von Ferrara war erstaunt. Er kannte die älteste Tochter seines Brotgebers seit ihrer Kindheit, und nun wollte es ihm nicht gelingen, in der jungen Frau, die vor ihm stand, die Prinzessin von Ferrara zu erkennen. Vielmehr präsentierte sich ihm eine vollkommene Herzogin von Aumale, gekleidet nach französischer Mode, Französisch sprechend, mit französischer Dienerschaft. Nach Italien meldete er: ella non è più la princessa di Ferrara ma Madama di Umala. Anna d’Este war die älteste Tochter Herzog Ercoles II. von Ferrara und der Renée de France. Verheiratet wurde sie im September 1548 mit François de Lorraine, Herzog von Aumale, Sohn des Herzogs von Guise. Als die Prinzessin im Oktober ihre Brautfahrt antrat und Eltern und Geschwister verließ, war sie eine italienische Fürstin, zwei Monate später kam sie als glaubhafte Herzogin von Aumale am Hof von Frankreich an. Was war geschehen während jener Reise, die Anna d’Este von Ferrara zunächst nach Mantua und Turin, dann über die Alpen, nach Grenoble und Lyon, schließlich bis nach Paris führte? Die Verwandlung der Prinzessin lässt vermuten, dass während ihrer Brautfahrt nicht nur Ländergrenzen, sondern auch symbolische Grenzen überschritten worden waren, dass die junge Frau einen Bruch mit der Kultur ihrer Herkunftsstadt vollzogen und einen Prozess der Akkulturation durchlaufen hatte, der sich in Sprache und Kleidung, in ihrem Verhalten und nicht zuletzt in der Zusammensetzung ihres Gefolges äußerte. Als francese visu, verbo et opera beschrieb sie der Gesandte des Herzogs von Ferrara nach ihrer Ankunft am französischen Hof, und nach Mantua wurde berichtet, die Prinzessin habe sich so gut in ihre neues Umfeld eingepasst, che par’ propriamente che sia nata e nodreta in questa corte.