Stand und Perspektiven der Patronageforschung
Birgit Emich, Nicole Reinhardt, Hillard von Thiessen, Christian Wieland
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Emich, Birgit / Reinhardt, Nicole / Thiessen, Hillard von / Wieland, Christian, « Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste », dans Zeitschrift für historische Forschung, vol. 32, nᵒ 2, 2005, p. 233‑265. Article réédité sur Cour de France.fr le 1er mars 2014 (https://cour-de-france.fr/article2787.html).
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Patronage, so die vorgeblich neue Erkenntnis eines kürzlich in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatzes von Heiko Droste, sei « eine Kulturform », die wichtige Aufgaben im Staatsbildungsprozess der Frühen Neuzeit wahrgenommen habe [1]. Dies sei von der bisherigen Forschung völlig verkannt worden. Die Neuheit der Erkenntnis scheint allerdings eher auf Lektürelücken und Missverständnissen des Autors zu beruhen als auf einem Versäumnis der wichtigsten Exponenten der Patronageforschung. Schon 1996 postulierte Wolfgang Reinhard in einem zentralen Beitrag, der erste Ergebnisse des von ihm angeregten Forschungsprojektes zur « Verflechtung [2] » der römischen Kurie zusammenfasste: « Das System, das wir untersucht haben, stellt historisch gesehen keineswegs einen Abgrund von Korruption, sondern schlicht eine notwendige und durchaus funktionale und zweckmäßige Entwicklungsstufe auf dem Weg zum modernen Staat dar [ ... ]. Aus der Sicht der historischen Anthropologie aber handelt es sich um ein System von etablierten und ethisch fundierten mikropolitischen Verhaltensmustern, ich wage zu sagen, um die politische Kultur des frühneuzeitlichen Europa » [3]!
Wogegen schreibt der Autor des Artikels also an? Auch eine Lektüre der folgenden Seiten macht den Leser kaum klüger. Er präsentiert weder eine diachrone Wissenschaftsgeschichte des Konzepts der Patronage noch eine Entwicklungsgeschichte des Phänomens der Patronage. Was er bietet, ist ein Potpourri, in dem willkürlich ausgewählte Zitate, zutreffende Bemer-
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kungen und Anregungen sowie falsche Diagnosen und erfundene Forschungslücken nebeneinander stehen. Eine solche Mischung wird weder dem Stand der Patronageforschung noch ihren Perspektiven und Potentialen gerecht. Dies ist umso ärgerlicher, als die Patronageforschung sich vorrangig mit außerdeutschen Gebieten befasst, in der deutschen Geschichtswissenschaft oft nur unzureichend rezipiert wird und auf die Vermittlung durch solche Zwischenbilanzen angewiesen ist. Daher sollen im Folgenden die Ergebnisse der bisherigen Forschung herausgestellt und einige weiterführende Überlegungen präsentiert werden. Wir beginnen mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung der Patronageforschung, die auch die zentralen Begriffe definiert. Hierauf behandeln wir den Zusammenhang von Patronage und Staatsbildung unter den Gesichtspunkten Bürokratie und territoriale Integration. Danach stellen wir Aspekte der Patronage in Außenbeziehungen vor. Abschließend diskutieren wir kulturgeschichtliche Implikationen der Patronageforschung.
I. Entwicklung und Begriffe der Patronageforschung
Die Auseinandersetzung mit dem Thema « Patronage und Klientel » hat die Geschichtswissenschaft als Ganzes seit den 1970er Jahren erfasst. Die einschlägigen Produktionen der Althistoriker, Mediävisten, Zeithistoriker und nicht zuletzt der Frühneuzeithistoriker sind seither kaum mehr zu überblicken [4]. Die Gründe für die Popularitat der Methode und des Themas sind vielfaltig. Als wichtigste sind zwei zum Teil widersprüchliche wissenschaftsgeschichtliche Momente auszumachen: einerseits die Krise der klassischen Politikgeschichte, die eine Öffnung der Geschichte gegenüber den Sozialwissenschaften beförderte und den Methodentransfer aus den « modernen » Sozialwissenschaften einleitete, sowie andererseits die Krisen des klassischen Modernisierungsparadigmas [5] und des Marxismus, welche einen Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialwissenschaften nach sich zogen. Diese Entwicklungen trafen in den 1970er Jahren überkreuzend zusammen und führten vor allem in der Soziologie zu einer Hinwendung
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zur (Sozial-)Anthropologie und zu kleinräumigen Untersuchungen, die den Akzent weniger auf Fagen der Schicht- oder Klassenzuschreibungen setzten; als vielmehr auf vertikale Beziehungen und Netzwerke. Die soziale Vernetzung des Individuums lässt sich unter die vier wesentlichen Typen der Verwandtschaft, Freundschaft und Patronage subsumieren [6] ; diese konstituieren demnach menschliches Handeln weit mehr als Klassenzugehörigkeit oder Klassenkonflikte [7].
Diese Typen sozialer Interaktion korrespondieren nach Wolfgang Reinhard mit den dominierenden ethischen Normen der neuzeitlichen Gesellschaft [8]. Solchermaßen aufgeladene Sozialbeziehungen durchzogen alle Bereiche des frühneuzeitlichen politischen Lebens [9], insbesondere auch die entstehenden bürokratischen Institutionen und Herrschaftsapparate, welche in der klassischen Modernisierungstheorie mit « Rationalismus » und moderner Staatlichkeit gleichgesetzt wurden [10]. Patron-Klient-Beziehungen werden in der Sozialanthropologie häufig als Übergangsphänomen betrachtet, als Kennzeichen sowohl staatlicher Integration als auch staatlicher Desintegration, die sich zu verschiedenen historischen Zeitpunkten und in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten ereignen können. Der Prozess der frühneuzeitlichen Staatsbildung wurde daher zu einem wichtigen Untersuchungsgegenstand der Patronageforschung. Dieser war gekennzeichnet durch den Aufstieg moderner zentralisierter Staaten, gepaart mit der Beschleunigung sozialer Mobilität, die sich zwischen die langsame Auflösung feudaler Strukturen [11] und die Vorherrschaft marktbedingter Beziehungen der Klassengesellschaft schob [12].
Der ideologische « Appeal » des Patron-Klient-Modells für antimarxistische bzw. für vom Marxismus zu konservativen Parteien konvertierte Historiker wie Roland Mousnier lässt sich auf die Grundannahme der Freiheit der beteiligten Individuen zurückführen sowie auf die Tatsache, dass das Modell durch seine Ausrichtung eher die Bedingungen von Vertrauen, Konsens und Kohärenz statt Konflikt und Kampf in den Mittelpunkt der Ana-
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lyse stellt [13]. Gegen Klasseninteressen und sozialen Determinismus werden soziale Beziehungen und ihre Mobilisierung für die Eigeninteressen des Individuums gesetzt. Da der Begriff « Interesse » ebenso zentral wie missverständlich ist, scheinen an dieser Stelle einige klärende Bemerkungen geboten.
Eigeninteressen können materieller, ideeller oder emotionaler Natur sein; sie beziehen sich auf knappe Güter im weitesten Sinne wie « meaningful work [...] or things like prestige or the pleasures of sex and power » [14]. Die analytische Verwendung des Begriffs « Interesse » ist allerdings deutlich von dessen frühneuzeitlichen Konnotationen abzugrenzen: Ganz auffällig ist nämlich, dass interesse im vormodernen Sprachgebrauch eindeutig negativ konnotiert war [15]. Eine neutrale, nicht-wertende Nutzung, auf deren Grundlage eine Abwägung verschiedener Interessen nach Kriterien von gut und böse, nützlich und schädlich vorgenommen werden konnte, existierte nicht - interesse war vielmehr ein Kampfbegriff, mit dessen Hilfe der Gegner delegitimiert und seine Absichten und Handlungen diskreditiert werden konnten. Im Gegenzug stellte die Selbstzuschreibung von desinteresse ein Mittel der Legitimation des eigenen Handelns dar. Während interesse mit Käuflichkeit und Geldgier, « Privatheit », Schaden für das Allgemeine und schließlich gar Heterodoxie gleichgesetzt wurde, stellte das desinteresse das genaue Gegenteil dar: Ferne von ökonomischen Erwägungen, abzielend auf das Allgemeinwohl und den öffentlichen Nutzen, Absehung vom Eigenen, Egoistischen, schließlich Übereinstimmung mit der Orthodoxie [16]. Selbstverständlich gab es all die dem interesse zugeschriebenen Beweggründe auch im Kalkül der frühneuzeitlichen Politiker - es galt jedoch, das eigene Verhalten als desinteressiert darzustellen, die Übereinstimmung des eigenen mit dem allgemeinen Wohl zu beweisen. Dies musste nicht notwendigerweise in Form von Selbst- oder Fremdbetrug geschehen [17]. Eben dies stellt eine der zentralen Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Interessen aufgrund von Äußerungen vormoderner Ak-
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teure dar [18]. Das kontinuierliche Einpassen der eigenen Intentionen in den anerkannten Rahmen desinteressierter Absichten sollte jedoch nicht dazu führen, kein « Interesse » im analytischen Sinne, nämlich zielgerichtetes Handeln, anzunehmen.
Interessen realisierten sich in der Frühen Neuzeit primär innerhalb von Patronagestrukturen. Patron-Klient-Beziehungen sind stark hierarchisierte und zentralisierte Beziehungen zwischen Personen und beruhen auf dem grundsätzlichen Ungleichgewicht zwischen Gabe und Gegengabe sowie einem durch die soziale Rolle von Patron und Klient gegebenen Gefälle. Die Art des Austausches ist zwar grundsätzlich frei, doch in gewisser Weise durch den Beziehungstyp institutionalisiert bzw. ritualisiert. In einer Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehung können materielle Interessen verwirklicht werden, doch selten wird dies ganz ohne ritualisierte affektive Austauschformen, z. B. der Gastfreundschaft oder Solidarität, auskommen. Andererseits müssen Verwandtschaftsbeziehungen nicht grundsätzlich mit positiven Affekten und Ansprüchen besetzt sein. Man muss kein Familientherapeut sein, um zu wissen, dass gerade Familienbeziehungen häufig auch « Nicht-Beziehungen » sind. Wenn also das Eingehen einer Patron-Klient-Beziehung bzw. die Aktivierung einer latenten Beziehung eine menschlich freie Entscheidung ist, die in der Regel keinen rechtlichen Verpflichtungen unterliegt, so kann aus der Beziehung selbst eine gewisse Handlungsverpflichtung erwachsen [19]. Der grundsätzlich freie Charakter wird hierdurch nicht aufgehoben, da keine der Verpflichtungen mit Zwangsmaßnahmen eingefordert werden kann oder muss. Wenn dieser Fall eintritt, kann von einem Ende oder einer Unterbrechung der Patronagebeziehung ausgegangen werden. Es handelt sich dann nicht mehr um eine Patronagebeziehung, sondern um eine Herrschaftsbeziehung.
II. Staatsbildung und Patronage
« Patronage », so Heiko Droste, « war eine ausgesprochen funktionale Institution », und zwar auch und gerade im Blick auf die Staatsbildung: Patron-Klient-Beziehungen stifteten Bindungen über Raum und Zeit, etwa zu in der Ferne tätigen Diplomaten oder zu lokalen Größen in der Provinz. Patronage band Adel wie soziale Aufsteiger an den Fürsten und damit an die Krone. Der nun nicht mehr kriegerische Adel wurde durch das Ideal des Höflings und Klienten überdies diszipliniert (« verhöflicht », hätte Norbert Elias gesagt), die bürgerlichen Aufsteiger konnten dank des auf Patron-Klient-Beziehungen gegründeten Vertrauens in ihre Verlässlichkeit in die
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soziale Elite integriert werden. Indem sie die Klienten dazu brachte, Güter und Vermögen in eine Anstellung im Krondienst zu investieren, erweiterte Patronage den ökonomischen Kredit der Krone. Und schließlich sicherten Patron-Klient-Beziehungen auch die Zentralität der Verwaltung. Gerade in Wachstumsgesellschaften, in denen Verwaltungsstäbe, Hofgesellschaft und Kronfinanzen expandierten und mit der sozialen Mobilität auch der Integrationsbedarf wuchs, erfüllte Patronage daher wichtige Aufgaben. Und da dies vor allem für die Frühe Neuzeit gilt, ist diese « Boomphase » der Staatsbildung zugleich eine Blütezeit der Patronage.
All dies ist richtig. Und all dies war schon lange bekannt, bevor Droste diese Sachverhalte als seine Entdeckung ausgab. So ist die Behauptung, die bisherige Forschung gehe im Blick auf die Staatsbildung von der Dysfunktionalität der Patronage aus, schlichtweg abenteuerlich [20]. Aber auch im Detail wirft Drostes Beitrag mehr Fragen auf, als er beantwortet. Um die « blinden Flecken » dieses Bildes etwas aufzuhellen, wird der Zusammenhang von Patronage und Staatsbildung im Folgenden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Behandelt werden zunächst das Verhältnis von Bürokratie und Patronage sowie die Rolle der Patronage bei der Beherrschung und Integration der Peripherie durch die Zentralgewalt. Es folgt ein Blick auf ihre Bedeutung in Diplomatie und Außenbeziehungen.
Unsere Ausführungen tragen zwar der internationalen Forschung Rechnung, konzentrieren sich bei den konkreten Beispielen aber auf den Kirchenstaat im frühen 17. Jahrhundert. Der Grund scheint auf der Hand zu liegen: Unsere eigenen empirischen Arbeiten sind im Rahmen eines Forschungsprojektes entstanden, das die europaweiten Netzwerke der römischen Kurie exemplarisch für den Pontifikat Pauls V. (1605–1621) untersucht. Der eigentliche Grund für diese intensive Beschäftigung mit Kurie und Kirchenstaat liegt jedoch in dessen herausragender Eignung für die
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Patronageforschung. Denn da in der zölibatären Wahlmonarchie mit jedem neuen Herrscher auch eine neue Famille und eine neue Klientel an die Macht kam, musste die soziale Mobilität in Rom größer sein als in Erbmonarchien, und so sind hier die Mechanismen der Patronage besser zu beobachten als andernorts.
a) Bürokratie
Bürokratie und Patronage - in der Tradition Max Webers hat die ältere historische Forschung hinter diesen beiden Begriffen den Kampf zweier Prinzipien vermutet: Patrimoniale gegen bürokratische Herrschaft, Klienten gegen Bürokraten, Vetternwirtschaft gegen Sachverstand. Die neuere Institutionengeschichte ist von einer solchen Gegenüberstellung hingegen abgerückt. Sie fragt stattdessen nach dem Verhältnis zwischen politischen und sozialen Institutionen, hier also nach dem Verhältnis von Bürokratie und Patronage [21]. Heiko Droste hat diese Fragestellung zwar nicht entdeckt, aber zutreffend referiert. Wie er sie beantwortet, führt hingegen in die Irre. Da seine Antwort jedoch auf eine zentrale Frage der Patronageforschung verweist, sei hier zunächst seine Position wiedergegeben: « Die besondere Leistung von Patronage lag [...] im Aufbau vertrauensvoller Beziehungen, die für das Funktionieren wie für das Verständnis frühmoderner Herrschaft gleichermaßen unabdingbar sind » [22]. Unabdingbar sind vertrauensvolle Beziehungen zwischen Patron und Klient auch in der und für die Bürokratie: weil nur jene Institutionen soziales Handeln anleiten können, denen Vertrauen entgegengebracht wird, und weil - auch und in der Frühen Neuzeit vor allem - allein Patronage und das von ihr geschaffene Vertrauen zwischen Patron und Klient die Integration sozialer Aufsteiger ermöglicht und die Zentralitat der anwachsenden Verwaltung gewährleistet. So weit, so gut. Problematisch ist jedoch zweierlei: Zum einen scheint Droste Vertrauen als auf Affekte gegründetes persönliches Nahverhältnis zu verstehen. Und zum anderen will er dieses affektiv verstandene Vertrauen in den Briefen zwischen Patron und Klient entdecken [23]. Damit stellt sich eine für die Patro –
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nageforschung zentrale Frage: Inwieweit sind deren wichtigste Quellen, die Korrespondenzen zwischen Patron und Klient, glaubwürdig? Die Behauptung, dass « die Briefrhetorik im Rahmen der Patronageforschung bisher überhaupt nicht berücksichtigt worden ist », unterschlägt eine ganze Reihe von Arbeiten [24]. Nicht von der Hand zu weisen ist hingegen die Einschätzung, dass die Forschung dem Aussagewert der Briefe für das tatsächliche Verhältnis ihrer Autoren mit Skepsis begegnet. Wird damit die Chance vergeben, den Charakter der Patron-Klient-Beziehungen außerhalb wie innerhalb des bürokratischen Apparats zu erfassen? Oder ist im Gegenteil vor Drostes Vertrauen in das Vertrauen zu warnen? Ein Beispiel aus der römischen Verwaltung mag zeigen, welche Befunde ein näherer Blick auf die Briefe und ihre Rhetorik zu Tage fördert und wie es im bürokratischen Kontext, d. h. im Verhältnis zwischen Dienstherren und Amtsträgern, um Patronage und Vertrauen steht [25].
Mitte September 1606 erhielt der Verwaltungschef der zum Kirchenstaat gehörigen Provinz Ferrara, Orazio Spinola, eine höchst erfreuliche Nachricht: « Heute Vormittag hat Seine Heiligkeit Euer Hochwohlgeboren zum Kardinal kreiert, [ ... ] zu meiner allergrößten Zufriedenheit. Ich teile Ihnen dies per Eilboten mit und freue mich auf das herzlichste mit Ihnen. Sie kennen meine Gesinnung und die Liebe, die ich Ihnen, gemeinsam mit der Ihnen gebührenden Wertschätzung, zu jeder Zeit entgegenbrachte. Daher werden Sie glauben, dass mir Ihre Erhöhung im höchsten Maße am Herzen lag » [26]. Der frischgebackene Kardinal antwortete postwendend. Dem Ver-
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fasser dieses Schreibens - es war Kardinal Borghese, ein Neffe des regierenden Papstes, der als Kardinalnepot fungierte und kraft dieses Amtes nicht nur zahlreichen kurialen Behörden vorstand, sondern auch die Klientel zu betreuen hatte, die sein päpstlicher Onkel als Landesherr benötigte, als Oberhaupt der Weltkirche aber nicht selbst versorgen durfte - diesem Cardinale Padrone also versicherte Spinola: « Ich bin absolut sicher, dass Ihre Protektion mir unglaublich genutzt hat. Bis zu meinem letzten Atemzug können Sie von mir, Ihrer Kreatur, jeden Gehorsam und jede Treue erwarten » [27]. Und an Papst Paul V. persönlich richtete er folgende Dankesworte: « Diese Gnade macht mich unabhängig von jedem anderen und allein Ihrer Güte verpflichtet. Sie weckt in mir das unstillbare Verlangen, Eurer Heiligkeit, dem Kardinal Borghese und Ihrer gesamten Casa zu dienen, solange Leben in mir ist » [28]. Der Patron beteuert Liebe und Einsatzbereitschaft, der Klient versichert Treue und Gehorsam bis in den Tod - auf den ersten Blick scheint dieser Briefwechsel bestens in das Bild zu passen, das Droste von Patron-Klient-Beziehungen und ihrer affektiven Dimension zeichnet. Und doch: Wer dies glaubt, ist der Patronagekorrespondenz in die Falle getappt und den gleichen Fehldeutungen aufgesessen wie Heiko Droste. Drei Gegenargumente seien genannt.
Erstens: Dass die vom ersten Brief an herzliche Korrespondenz zwischen Borghese und Spinola nicht das Geringste über ihr persönlich-menschliches Verhältnis zu sagen hat, ergibt sich bereits aus einem simplen Befund: Dis beiden kannten sich überhaupt nicht. Und als sie sich erstmals persönlich begegneten, sah ihre Beziehung eher dem Ende als einer neuen Blüte entgegen: Nachdem Spinola 1616 zum ersten Mal seit über zehn Jahren in Rom erschienen und anschließend in seine Heimat Genua abgereist war, dünnte seine Patronagekorrespondenz mit Borghese dramatisch aus. Mit Sympathie oder Antipathie hatte das nichts zu tun, und auch ein Vertrauensbruch oder ein anderes Fehlverhalten ist auf keiner der beiden Seiten zu entdecken. Der Grund für die Abkühlung ihres scheinbar so engen Verhältnisses ist weit schlichter: Spinolas Amtszeit war abgelaufen. So wie bereits die Kardinalspromotion als Lohn für Spinolas Einsatz am Dienst des Papstes gedacht war und allseits verstanden wurde, so galt die klienteläre Betreuung des Nepoten nicht dem Privatmenschen Spinola, sondern dem Amtsträger. Ihr vermeintliches Vertrauensverhältnis war nichts anderes als das übliche Verhältnis zwischen Dienstherr und Amtsträger: Solange nicht abstrakte
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Diensttreue, sondern persönliche Dienertreue für eine Amtsführung im Interesse des Dienstherren sorgen musste, solange musste der Amtsträger immer auch als Klient behandelt werden, in Rom wie überall. Die klienteläre Rundumversorgung war ein Teil der Entlohnung, mit Affekten hatte sie nichts zu tun und Affekte wurden auch nicht als Gegenleistung erwartet. Spinola sollte den Borghese loyal dienen, mögen musste er sie nicht. Vertrauen war hierbei durchaus von Bedeutung, aber nicht als emotionale Kategorie, wie Droste meint, sondern als das, was der notorisch und auch bei Droste zitierte Niklas Luhmann darunter versteht: Vertrauen wurde in der Vormoderne nicht individuell ausgehandelt, Vertrauen war vielmehr ein Sich-Verlassen auf die Erfüllung vorgegebener sozialer Rollen [29]. Wenn sich ein Klient loyal verhielt, dann erfüllte er seine Rolle, und dann konnte man ihm vertrauen. Und wenn er loyal nur um den Preis sein konnte, seine wahren Emotionen gegenüber dem Patron zu verbergen, dann hatte er das zu tun. « Vertrauen beruht auf Täuschung », heißt es bei Luhmann [30]. lm frühneuzeitlichen Rom hätte man das für eine Selbstverständlichkeit gehalten.
Zweitens: Unterstrichen wird sowohl der instrumentelle Charakter der Patronagekorrespondenz als auch die Funktionalität ihrer Rhetorik von einem Befund aus den Niederungen der Aktenkunde: Die Patronagekorrespondenz nicht nur der römischen Kurie war das Resultat einer behördlichen Routine, der Treue-Diskurs mithin ein bürokratisches Massenprodukt. Borghese musste seine Patronagebriefe an Spinola wie Tausende andere Schreiben dieser Art nur in Auftrag geben und anschließend unterschreiben, die Formulierung konnte er getrost den Sekretären überlassen. Schließlich gehörte es zu deren handwerklicher Grundausstattung, den Patronagediskurs zu beherrschen. Und da nicht wenige Sekretäre eine Sammlung der schönsten ihrer für den jeweiligen Dienstherrn verfassten Kondolenzen, Weihnachtsgrüße und Ergebenheitsadressen gedruckt veröffentlichten, gab es auch so etwas wie Lehrbücher der Patron-Klient-Rhetorik. Aber nicht nur die Formulierungen fungierten als bürokratischer Code. Auch eigenhändige Zusätze des Nepoten unter den von den Sekretären verfassten und ins Reine geschriebenen Briefen dienten der Abstufung an Herzlichkeit, Verbindlichkeit und Dringlichkeit. Bei Kardinalspromotionen wie derjenigen Spinolas hatte Borghese die Gratulationsschreiben an die Glücklichen gar komplett eigenhändig zu Papier zu bringen; wenn er Dritten zuliebe gleich mehrere Kandidaten für das gleiche Amt empfahl, konnte er mittels Autographen signalisieren, wen er eigentlich bevorzugt sehen wollte. Mitunter waren diese eigenhändigen Zusätze dem Wunsch des Nepoten entsprungen und als Zeichen seiner Zuneigungen durchaus ernst zu nehmen. Sie grundsätzlich als Ausdruck persönlicher Sympathien und Vorlieben zu verstehen, wäre indes fatal. So vermerkte Borghese zuweilen eigenhändig herzliche Grüße an einen Adressaten, der im Rufe stand, den
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Papst und seinen Neffen vergiften zu wollen [31]. Und da der Text der Zusätze überdies nicht selten von den Sekretären vorformuliert wurde, sollte man sie ebenso behandeln wie Anreden, Unterschriften und andere Mittel der formalen und rhetorischen Gestaltung: als höchst aufschlussreiche Indizien für Funktion und Intention der Briefwechsel, nicht aber als Aussagen über das affektive Verhältnis der Korrespondenzpartner.
Lohnend ist im übrigen auch ein näherer Blick auf die Sekretäre. Die Patronagekorrespondenz der Krone wurde in Rom zuweilen, in Frankreich und andernorts grundsätzlich dort abgewickelt, wo auch die große Politik verhandelt wurde: im Staatssekretariat. Dies aber unterstreicht nicht nur den funktionalen Zusammenhang von Politik und Patronage. Es führt zugleich zu einem dritten Argument gegen die Annahme, die vom klientelären Diskurs geprägte Korrespondenz zwischen Patron und Klient gebe deren Verhältnis zu erkennen: Die Patronagekorrespondenz war nur ein Teil des gesamten Briefwechsels zwischen Dienstherr und Amtsträger, der klienteläre nur einer von mehreren Diskursen. Bei Borghese und Spinola kommen zwei weitere Korrespondenzarten mit je eigenen Diskursen, Schlüsselworten und Stilisierungen der jeweiligen Rollen hinzu: die Amtskorrespondenz, in der sich Spinola ais Verwaltungschef und Borghese in seiner Eigenschaft als Leiter der wichtigsten kurialen Behörden gegenüberstanden, und die Privatkorrespondenz, in der die Anliegen des Nepoten in Sachen Bereicherung verhandelt wurden. In der Amtskorrespondenz präsentierte sich Spinola als Diener Seiner Heiligkeit, der allein den Nutzen und das Ansehen des Apostolischen Stuhls im Auge habe. Borghese trat hier als dienstbeflissener Sprecher des Papstes mit Befehlston auf, dem es ebenfalls ausschließlich um den Nutzen des Staates und das allgemeine Wohl gehe. Diesem staatstragenden Diskurs der Sachlichkeit diametral entgegen stand die Pri-vatkorrespondenz. Hier inszenierte sich Spinola weder als Amtsträger noch als Klient. Vielmehr bot er sich Borghese als Agent an, der allein die privaten, meist ökonomischen Interessen des Nepoten verfolgen wolle. Auch Borghese pflegte hier den schnörkellosen Diskurs der Privatinteressen: Schaden und Nutzen waren die Schlüsselbegriffe der Privatkorrespondenz, Schaden und Nutzen des Nepoten, wie sich versteht. Er wolle Seiner Heiligkeit, dem Kardinal Borghese und der gesamten Casa Borghese dienen, hatte Spinola zum Dank für seine Promotion versprochen. Und genau dies tat er in seiner dreifachen Identität als Amtsträger, Klient und Agent. Wer allein die Patronagekorrespondenz zu Rate zieht, wird nur eine dieser drei Identiäten entdecken. Und wer allein die klienteläre Rhetorik im Blick hat, wird das Verhältnis zwischen Dienstherr und Amtsträger nicht voll erfassen. Grundsätzlicher formuliert: Charakter und Funktion der Patronage im bürokratischen Kontext lassen sich nicht allein der entsprechenden Korrespondenz entnehmen. Komplementär zu den Briefwechseln der Patronage sind Amts- und Privatkorrespondenz zu lesen, denn mindestens im Blick
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auf das Personal des Fürsten verleihen erst sie der Patronagekorrespondenz ihren Sinn. Spinola wurde als Klient behandelt, damit er den Borghese gegenüber loyal war, damit er sowohl seinen Amtspflichten als auch den Wünschen des Nepoten in eigener Sache nachkam. Die Behandlung als Klient ist in der Patronagekorrespondenz dokumentiert, der Niederschlag seiner Loyalität indes in der Amts- und Privatkorrespondenz. Und nur wer alle Ebenen der Korrespondenz berücksichtigt, kann das Zusammenspiel von Bürokratie und Patronage erfassen.
b) Territoriale Integration
Der Aufstieg der modernen Staaten war nicht nur eine Frage der qualitativen Veränderung von Herrschaftsbeziehungen und Institutionen, sondern bedeutete auch quantitativ eine Ausweitung des Staatsgebietes: durch Eroberung oder durch Vererbung, aber auch durch eine engere Anbindung z. T. locker mit der Zentrale verbundener Gebiete. Die meisten Staatsgebilde der Frühen Neuzeit waren « zusammengesetzte Monarchien » [32], was die herrschenden Dynastien vor das Problem stellte, neue und alte Territorien und deren Repräsentanten - in Konkurrenz zu anderen Staatsgebilden - handlungsfähig zu machen, Gegensätze zu überwinden und ein Minimum von Staatlichkeit (Gewaltmonopol nach innen wie außen) herzustellen [33].
Der quantitativen Ausweitung auch zusammengesetzter Staaten scheint eine Grenze gesetzt gewesen zu sein, doch scheiterte beispielsweise Spanien nicht nur am « übergroßen Machtbereich », sondern auch « qualitativ » an der unzureichenden Integration seiner Territorien und Eliten [34]. Der Prozess der Integration und der Vermittlung zwischen lokalen Privilegien und Eliten einerseits und der Zentralmacht andererseits war administrativ allein nicht zu bewältigen, sondern in hohem Maße auf das soziale Mittel von Patronage und Klientel angewiesen. Der Aufbau von Patronage-Beziehungen war dabei vom Willen des Patrons wie des Klienten abhängig und kann als Ergebnis strategischer Erwägungen, im Sinne einer Auswahl unter verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, aufgefasst werden.
Bei der Übertragung des sozialanthropologischen Konzepts von kleinräumigen Strukturen auf die Ebene komplexer Gesellschaften und moderner Staaten rückte die Figur des Maklers und Mittlers (« broker ») in den Mittelpunkt; er überbrückte die räumlichen und hierarchischen Distanzen [35]. Der
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Broker stellte dem Patron im Blick auf die territoriale Integration die Dienste seiner Klientel zur Verfügung und versorgte diese wiederum mit Leistungen, die ihm aus seinem Nahverhältnis zum Machthaber zufielen. Gerade der Ausbau staatlicher Institutionen eröffnete ein Reservoir zur Versorgung der Klientel [36]. Broker sind Mittler zwischen Zentrum und Peripherie, sie schaffen Vertrauen dort, wo noch keine Vertrautheit existiert [37]. So konnte es gelingen, die autonome Macht, über die lokale Magnaten ihrer Klientel gegenüber verfügten, umzuwandeln in auf den Souverän bezogene Patronage, d. h. alte Eliten in den entstehenden Zentralisierungsprozess einzubinden [38]. Andererseits konnten Kreaturen des Fürsten zur Betreuung der lokalen Klientel in die Provinz entsandt werden. Am Beispiel der Beziehungen zwischen der Famille Nevers und Ludwig XIII. hat Ariane Boltanski gezeigt, dass beide Spielarten parallel zum Einsatz kommen konnten [39]. Die Beobachtungen Boltanskis zu den Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung klientelärer Mechanismen sind zu ergänzen durch die Analyse Ketterings zur diachronen Veränderung des Klientelismus im Zuge der modernen Staatsbildung. Laut Ketterings Untersuchung gelang in Frankreich die Umwandlung ursprünglich an Broker gebundener Klientelverbände zu staatsbezogenen Klienten [40]. Als sich dieser Prozess im 18. Jahrhundert verfestigte und zum Abschluss kam, ging nicht nur die Bedeutung der Broker zurück, da inzwischen direkte Beziehungen zwischen lokalen Eliten und Krone vorherrschten, auch die Bedeutung des Klientelismus selbst war in Folge der gesteigerten administrativen « Effizienz » gesunken. Die Frage, inwieweit die von Kettering formulierte Einschätzung allgemein zutreffend ist, wonach der Klientelismus im späten 17. bzw. im 18. Jahrhundert zunehmend dysfunktional wurde, ist umstritten. Unbestreitbar scheinen jedoch seine Veränderungen sowie eine zunehmend kritische Einschätzung durch die Zeit-
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genossen [41]. Geht man davon aus, dass Patronage für den Staatsbildungsprozess funktional war, d. h. ihn nicht nur begleitete, sondern auch wesentlich beförderte, so sind jedoch auch die Grenzen der Funktionalität bzw. der Umschlag in Dysfunktionalität aufzuzeigen [42]. Diese Forderung zu beherzigen, heißt nicht, die Bedeutung der Patronage zu verkennen, sondern schärft ganz im Gegenteil den Blick für ihre Wirkungsweisen und ihre intendierten wie nicht intendierten Folgen.
Patronagebeziehungen können im Sinne eines ganzen Bündels von Interessen zum Einsatz gebracht werden: von Seiten der Mitglieder studentischer Eliten zugunsten ihrer Person und ihres Familienverbandes, zugunsten der Stadt bzw. Provinz als Ganzer, zugunsten staatlicher Anliegen durch den politischen Herrscher oder aber auch zugunsten der Privatanliegen des Herrschers und seines Familienverbandes. Wenn von Funktionalität oder Dysfunktionalität der Patronage die Rede ist, so muss bestimmt werden, auf welchen Einsatzbereich man sich bezieht. Am Beispiel des Kirchenstaats sollen diese widersprüchlichen Interessen im Folgenden umrissen werden [43].
Wenn der Kirchenstaat auf der Ebene der Institutionen und ihrer Zentralisierung den anderen Staaten Europas nicht nur nicht nachstand, sondern in vielerlei Hinsicht geradezu als avantgardistisches Labor angesehen werden kann [44], so sind doch verschiedene Wesensmerkmale hervorzuheben, die ihn von anderen Staaten unterschieden und die Patronagebeziehungen prägten. Die zölibatäre Wahlmonarchie schloss die direkte Erblichkeit der Ämter an der Staatsspitze und im Verwaltungsapparat aus, was bei jedem Pontifikatswechsel den Austausch der Personen in den zentralen Führungspositionen nach sich zog [45]. Kontinuität stellten vornehmlich die Spezialisten und Sekretäre der mittleren Verwaltungsebene her, auf die schon aus pragmatischen Gründen zur Aufrechterhaltung der Kirchen- und Staatsgeschäfte nicht verzichtet werden konnte [46]. Das von sozialer Mobilität gekennzeichnete römische « spoils system » kooptierte und beteiligte auf diese Weise immer neue Personen an den institutionellen und
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vor allem an den finanziellen Ressourcen des Staates, was vor allem in finanzieller und sozialer Hinsicht durchaus Konsens herstellte [47]. Es ist bezeichnend, dass auch der Pontifex, der bei Amtsantritt in vergleichsweise unbeschränkter Machtvollkommenheit auf einen gut ausgebildeten Verwaltungsapparat zugreifen konnte, der Überformung der Herrschaft durch Klienten und einen klientelären Diskurs bedurfte. Erst dies hauchte der formalen Macht Leben ein.
In den Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie sowie in den Patronagebeziehungen hinterließ dieses Strukturprinzip des päpstlichen Regiments tiefe Spuren. Während in der Provinzverwaltung die Vertrauten des neuen Pontifex als Legaten und Gouverneure das Ruder übernahmen, wurden bei jedem Pontifikatswechsel die Karten neu gemischt, und die Mitglieder der lokalen Eliten überprüften ihre eigenen Sozialbeziehungen im Hinblick auf mögliche Anknüpfungspunkte mit der neuen Herrscherfamilie. Mit spitzer Feder hat La Bruyère das Umschlagen latenter Beziehungen in netzwerkrelevante geschildert: « Wieviele Freunde und Verwandte werden einem neuen Minister über Nacht geboren! Die einen werfen ihre alten Beziehungen in die Waagschale, ihre Studienfreundschaft, ihre Nachbarschaft; die anderen blättern in ihren Genealogien und gehen bis zu ihren Ur-Urgroßvätern zurück, erinnern an die väterliche und mütterliche Linie; man will diesen Menschen irgendwo packen, und man sagt sich mehrmals am Tag, wie großen Wert man darauf Iegt, man wäre sogar bereit, dies in Druck zu geben: Er ist mein Freund, und ich bin hoch erfreut über seinen Aufstieg; ich muss daran teilhaben, er ist mir nah genug » [48].
Können wir daraus schließen, dass sich die Eliten der Frühen Neuzeit nach jenen, denen Macht zugefallen war, wie Eisenspäne in einem Magnetfeld richteten? Heiko Droste vertritt die These, dass gerade die Popularität eines Patrons diesen uninteressant für potentielle Klienten gemacht habe, denn die Klienten hätten in großen Netzwerken eine geringere Chance auf Durchsetzung ihrer partikularen Interessen gehabt und die persönliche Beziehung zum Patron habe mit der wachsenden Zahl von Klienten notwendig an Bedeutung verloren [49]. Es finden sich durchaus Belege dafür, dass große Netzwerke mächtiger Patrone als Folge der Unzufriedenheit von Klienten auseinander brechen oder schrumpfen konnten [50]. Allerdings ist vor einer Beschreibung des Verhaltens von Klienten im Sinne einer marktorientierten
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Interessenabwägung von Angebot und Nachfrage zu warnen. In der politischen Kultur der Frühen Neuzeit bemaß sich die Macht des Patrons per definitionem auch an der Masse seiner Klienten. Ein großer Klientelverband vermochte seinen Zugriff auf Informationen und Ressourcen zu erweitern, und vor allem steigerte sich mit der Reputation des Patrons auch die seiner Klienten [51]. Die besonderen Bedingungen des Kirchenstaates ließen das, was anderswo vernünftig erschien, geradezu zwangsläufig werden: die möglichst gekonnte Ausweitung der Sozialbeziehungen, ja von Doppel- und Mehrfachbindungen als Reservoir für die Zukunft. Ein Vergleich der Bedeutung von Klientelsystemen im Verhältnis von Bologna und Ferrara zur römischen Zentrale [52] lässt erkennen, dass Patronage ein wesentliches und unverzichtbares Instrument territorialer Integration war. Dennoch lassen sich an beiden Gemeinwesen sehr unterschiedliche Formen politischer Kultur nachweisen. Das zeigt, dass Patronage allein nicht ausreicht, das zu erklären, was wir politische Kultur nennen, nämlich das Gefüge der Werte und Einstellungen, die das politische Handeln der Akteure regulieren [53]. Patronage gehört immer in den Kontext einer Vielzahl anderer Faktoren, so zum Beispiel Konfession, kommunale Tradition oder Elitenlegitimation.
In der Stadt Bologna mit ihrer ausgeprägt republikanischen Tradition kann die lokale politische Kultur mit ihren Leitwerten der patria und der kommunalen libertà als Ursache dafür ausgemacht werden, dass Klientelbeziehungen nicht direkt, sondern indirekt wirkten: Die Klienten des Papstes unterliefen immer wieder den lokalen Konsens, sie neutralisierten den städtischen Senat. Und es gelang dem Senat nicht, die Bologneser Landsleute im römischen Getriebe für die Sache der Heimatstadt zu gewinnen. Diese profitierten vielfältig von der päpstlichen Gunst und einem Reigen von Privilegien, die ihrem Familienverband in der Regel langfristige soziale und materielle Gewinne einbrachten, wofür sie im Gegenzug so manches Projekt ihrer patria in Rom, ganz im päpstlichen Sinn, zu Fall brachten. Jene Bolognesen im römischen Verwaltungsapparat, deren Eigeninteresse im Sinne des familismo ausgerichtet war, zeigten sich zugleich ausgesprochen diensttreu und loyal gegenüber dem Pontifex, sie betätigten sich vielfältig als Renegaten der patria und ihrer libertà [54].
Dagegen gelang in Bologna die Umwandlung lokaler Magnaten in Broker im Dienst der Zentrale nicht. Die päpstliche Klientel rekrutierte sich in ers-
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Linie aus neuen Familien, die sich im Austausch für die lokalpolitische Abstinenz bzw. für die Versorgung der Zentrale mit Informationen aus der Provinz an den Fleischtöpfen des Staates halten durften. Die alten Faktionsführer und tonangebenden Familien, die allenfalls noch indirekt lokal tätig wurden [55], hatten sich in andere prestigeträchtigere Gefilde wie Madrid, Florenz oder Paris verabschiedet. Als Broker dienten daher die von Amts wegen entsandten Legaten, allerdings erst nachdem sie die ersten Jahre mit der Umsetzung unpopulärer Zentralisierungsmaßnahmen betraut worden waren [56]. Ähnlich wie für den Nepotismus lässt sich für die Patronagebeziehungen in Bologna von einem Rückgang der Herrschaftsfunktion bzw. von einer indirekten Herrschaftsfunktion sprechen, während die Bereicherungsfunktion sich vielerorts in den Vordergrund schob.
In Ferrara siegte hingegen die klassische Variante der Rekrutierung lokaler Broker aus den Reihen der örtlichen Magnaten [57]. Zu erklären ist dies maßgeblich mit der höfischen Tradition des erst mit dem Aussterben der Este 1598 an den Kirchenstaat gefallenen Herzogtums. Weil den Ferraresen die Strukturen höfisch-fürstlicher Herrschaft aus der Zeit der Este bestens vertraut waren, wurden aus den Höflingen der Herzöge 1598 nahezu bruchlos Klienten der Päpste. Und weil es ihnen an einem republikanischen Selbstverständnis à la Bologna mangelte, spielte die patria unter den Bezugspunkten ihres politischen Denkens und Handelns keine Rolle. Von einer selbstbewussten Politik im Namen und im Interesse Ferraras konnte daher keine Rede sein: Im Vergleich zu Bologna waren die Ferraresen ausgesprochen zahme Untertanen. Und sie wurden immer zahmer. Wie es sich für dienstfertige Klienten gehörte, öffneten die vor Ort tonangebenden Mag-naten auch die städtische Personalpolitik den Wünschen ihrer römischen Patrone. Dies aber schlug auf die Institutionen zurück: Weil Lehrstühle wie Richterposten an minderqualifizierte Proteges der Zentrale fielen, verloren potentielle Kristallisationspunkte patriotischen Stolzes wie die Ferrareser Universität und das Zivilgericht an Ansehen. Weil auch die politischen Gremien der Stadt allein nach der Logik des Klientelismus besetzt wurden, war an eine Politisierung dieser Organe gegenüber Rom nicht zu denken. Diese Selbstentmachtung der um eine regionale Identität gebrachten Provinz mochte sich für die führenden Ferraresen zunächst lohnen. Schließlich wurde zwar die Region insgesamt durch den Fiskalismus und die Privilegienwirtschaft der Zentrale ausgebeutet. Aber dank einer regressiven Besteuerung zulasten der unteren Schichten gehörten die von den Abgaben befreiten Grundbesitzer zu den Gewinnern der ökonomischen Umverteilung. Und zur klientelären Akzentuierung dieser schichtspezifischen Geschenke konnten die treuen Klienten der Papstfamilie mit reichem Lohn in Form von Privilegien und anderen Vergünstigungen rechnen. Langfristig sollte sich die freiwillige Unterwerfung der Ferrareser
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Oberschicht unter die Regeln des römischen Klientelismus allerdings rächen. Denn weil Privilegien wie die Befreiung von Abgaben und Arbeitspflichten zur Grundausstattung der Oberschicht gehörten, ließ sich der auf die Mitarbeit aller angewiesene Schutz des Landes vor den Überschwemmungen des Po mit fortschreitender Zeit immer weniger aufrechterhalten. Und weil auch die Geistlichen, die der Papst qua Benefizienvergabe mit Ferrareser Land bedacht hatte, lieber kurzfristig von ihren Privilegien profitieren als langfristig das Land erhalten wollten, war jede Reform des maroden Systems zum Scheitern verurteilt und das Territorium der Provinz daher wortwörtlich dem Untergang geweiht. Dass sich die römisch-ferraresische Allianz der Privilegierten von einer soliden Grundlage der päpstlichen Herrschaft in der Provinz zu einem Hindernis jeder Reformpolitik entwickelt hatte, bekamen am Ende die Pontifices selbst zu spüren: Auch die Reformpäpste des 18. Jahrhunderts scheiterten an der Blockadehaltung ihrer Eliten in Zentrum wie Peripherie. Damit waren nicht nur die Integrationsgewinne von einst dahin. Damit dürfte auch deutlich geworden sein, dass in Patronagebeziehungen immer mehrere und oft konträre Interessen im Spiel sind und dass nur so zu verstehen ist, wie funktionale Herrschaftstechniken dysfunktionale Effekte entwickeln konnten.
c) Außenbeziehungen und Diplomatie
Das Patronage-Konzept Drostes ist im Wesentlichen auf innenpolitische Verhältnisse zugeschnitten. Zwar nennt er die frühneuzeitliche Diplomatie ein Musterbeispiel von Vertrauensbeziehungen über Zeit und Raum, erläutert dies aber nur mit dem Klientelverhältnis, in dem die Diplomaten zu führenden Vertretern am Hof oder in den maßgeblichen außenpolitischen Beratungsgremien ihres Fürsten standen [58]. Wir stellen im Folgenden dar, dass grenzüberschreitende Patronagebeziehungen auf vielen Ebenen existierten, die sich ergänzten, miteinander konkurrierten oder im Widerspruch zueinander standen. Wir finden Patronage in den Beziehungen zwischen Fürsten bzw. Staaten, im Verhältnis des Fürsten bzw. der Regierungselite eines Landes zu seinen Diplomaten, zwischen Diplomaten und verschiedenen Vertretern ihres Heimatlandes wie ihres Dienstortes. Vasallen eines Fürsten konnten eine konkurrierende Klientelbeziehung zu einem anderen Fürsten eingehen, die mitunter sogar durch den eigenen Fürsten vermittelt wurde. Charakteristisch für die Akteure in frühneuzeitlichen Außenbeziehungen ist daher, dass sie mit einer Vielfalt von Rollen und Ansprüchen jonglieren mussten, obwohl doch ihr Fürst unbedingte Treueansprüche an sie und ihren Dienst stellte.
Das Verhältnis von Fürsten (bzw. vormoderner Staaten) untereinander lässt sich in den durch das Patronagesystem bereitgestellten hierarchisierenden Termini beschreiben [59]. Allerdings existierte parallel dazu seit dem 15. Jahrhundert der Leitbegriff der amicitia zur Beschreibung des Verhält-
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nisses von (souveränen) Staaten und Monarchien. Die darin ausgedrückte grundsätzliche Gleichberechtigung aller Monarchen sollte über den Westfälischen Frieden Eingang in das ius publicum Europaeum finden. Trotzdem stellte eine Situation, in der keiner der fürstlichen Kommunikationspartner dem anderen eindeutig über- oder unterlegen war, weder vor noch nach 1648 den Normalfall dar [60].
Besonders gut lässt sich dieses Phänomen am Beispiel des Papsttums und der italienischen Fürstentümer illustrieren: Wenn Seine Heiligkeit auch innerhalb der katholischen Welt ganz fraglos die Suprematie besaß und kein katholischer Monarch ihr diese streitig machen konnte und wollte, gestaltete sich der Kontakt zu den italienischen Fürsten doch auch als mehr oder weniger gleichberechtigte territorialstaatliche Nachbarschaft. Schließlich - und vielleicht ausschlaggebend - konturierte jedoch die unterschiedliche soziale Herkunft der gewählten Klerikermonarchen und der Dynastien deren Verhältnis: Die Päpste der Frühen Neuzeit stammten mehrheitlich aus dem oberitalienischen Patriziat - für sie und ihre Nepoten bedeutete das höchste Amt der Christenheit den Ausgangspunkt für die Integration in die römische und italienische Oberschicht, ein Prozess, bei dem man maßgeblich auf Unterstützung durch die etablierten Aristokraten aus den Häusern Savoia, Este, Medici usw. angewiesen war. In dieser Hinsicht waren die italienischen Herren eindeutig Patrone, deren Gunst die Päpste und ihre Nepoten gerade mit Hilfe der bei ihnen monopolisierten geistlichen Ressourcen zu gewinnen suchten.
Dieses vielschichtige Patronageverhältnis auf höchstem sozialem Niveau wurde wesentlich von Diplomaten gemakelt, die selbst wiederum auf verschiedenen Ebenen in die Netzwerke ihres Heimatlandes wie auch des gastgebenden Fürstentums integriert waren. Diplomaten waren, wie Droste anführt, in der Tat häufig Klienten eines führenden Vertreters am Hof des sie entsendenden Fürsten. Doch sie pflegten oft Verbindungen zu verschiedenen Vertretern des Heimathofes und agierten - vielleicht sogar in erster Linie - als Interessenvertreter ihrer Verwandten und Klienten. Das musste nicht, konnte aber im Widerspruch zu ihrer « eigentlichen » Aufgabe als Fürstendiener stehen. Damit ist zu erwarten, dass auf dem Feld der Außenverflechtung Patronage nicht einfach als habitualisiertes Verhaltensmuster, als Ausfluss des Lebensstils der Elite gesehen werden kann, sondern vielmehr stets in Verbindung mit Eigeninteresse und Kalkül untersucht werden muss. Toby Osborne argumentiert am Beispiel des im frühen 17. Jahrhundert tätigen savoyardischen Diplomaten Alessandro Scaglia di Verrua, dass
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Diplomaten stets auch als Vertreter ihres Familienverbandes agierten: « The Scaglia di Verrua were functioning as a family unit in service to Savoy. » [61] Dies taten sie keineswegs im Geheimen; das Handeln im Interesse des eigenen Familienverbandes war ein ethischer Imperativ, der allgemein geteilt wurde und an sich unumstritten war [62]. Es war daher selbstverständlich, dass das Haupt eines Familienverbandes die ihm in Prämierung des Fürstendienstes zufließenden Ressourcen dem eigenen Familienverband zukommen ließ.
Nun hatten Diplomaten aber auch Zugriff auf Ressourcen am Dienstort. Nuntien, die nach Spanien entsandt wurden, erhielten dort in der Regel königliche Pensionen zugesprochen, oder ihre Verwandten wurden in einen der prestigeträchtigen kastilischen Ritterorden aufgenommen. Umgekehrt waren die spanischen Botschafter in der Ewigen Stadt rastlos bemüht, Benefizien für Verwandte, Freunde (auch solche aus dem Kirchenstaat) und Klienten zu vermitteln oder Dispense zu erbitten. Auch dies geschah in der Regel mit Wissen, zumeist wenigstens mit Billigung des eigenen Dienstherrn, mitunter sogar auf dessen Empfehlung. Der Gesandte makelte also Patronageressourcen [63]. Derartige « private Anliegen » ermöglichten dem Gesandten, seinem Familienverband, der in seine Karriere investiert hatte, die erwarteten Ressourcen zukommen zu lassen und den Kredit des Botschafters in der heimischen Adelsgesellschaft (und auch in der des Gastlandes) zu erhöhen. Zudem konnte er seine Klientelbeziehung zum Günstling-Minister und maßgeblichen Personen am Hof stärken, denn diese versuchten, Anliegen Dritter mit Hilfe seiner Vermittlung bei der Kurie durchzusetzen [64].
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Bis hier scheinen wir uns in einem funktionalen System zu befinden, in dem zu allseitiger Zufriedenheit mit offenen Karten nach allgemein bekannten und akzeptierten Regeln gespielt wurde. Doch von Funktionalität lässt sich nur insoweit sprechen, als dass Diplomatie unter den Bedingungen personaler Herrschaft und angesichts der beschriebenen ethischen Imperative gegenüber Verwandten, Klienten und Freunden gar nicht anders funktionieren konnte. Aus der Rollenvielfalt des Diplomaten erwuchsen aber in der alltäglichen politischen Praxis einerseits Rivalitäten zu anderen Vertretern seines Heimatlandes am Dienstort, und außerdem fand der Botschafter sich in einem praktisch unlösbaren Spannungsverhältnis zwischen seiner Rollenvielfalt und der geforderten unbedingten Loyalität gegenüber seinem Fürsten. Spanische Botschafter in Rom etwa konkurrierten stets mit den in Rom residierenden spanischen Kardinälen um die Vermittlung von Patronageressourcen in ihr Heimatland. Ebenso kollidierten auch regelmäßig die Ansprüche des Günstling-Ministers mit dem Wunsch des Botschafters, seinen Familienverband zu bevorzugen. Die Schwelle des Erlaubten wurde für den Botschafter eindeutig überschritten, wenn er mit seinem Dienstherrn selbst um exklusive Patronageressourcen konkurrierte. So wurden unter Philipp III. allein zwei Botschafter abgerufen, weil sie versuchten, Verwandten den Kardinalshut zu verschaffen. Die Empfehlung von Spaniern für das Kardinalat aber stand allein der Krone zu [65].
Damit dürfte deutlich geworden sein, dass Diplomaten mindestens vier verschiedene Rollen gleichzeitig - als Fürstendiener, als Klienten, als Patrone und als Familienmitglieder - zu erfüllen hatten, wobei letztere offenbar die stärkste Bindekraft aufwies. Jede dieser Rollen verlangte unterschiedliche Handlungsweisen. Die soziale Institution Patronage, so können wir schließen, kam praktisch nicht isoliert vor, weil kaum jemand nur Patron oder nur Klient war. Man hatte verschiedene Rollen zu spielen, die zudem ineinander überzugehen pflegten und nicht immer miteinander zu harmonisieren waren. Es ist daher einleuchtend, dass auch die Sprache der Patronage nicht die Eindeutigkeit hatte, die Heiko Droste vermutet. Der Rollenvielfalt und mangelnden Eindeutigkeit standen die Ansprüche des Fürsten an Diener und Klienten schroff gegenüber: Alternativlosigkeit, Unwandelbarkeit, Unbedingtheit und Selbstverständlichkeit der Loyalität [66]. Fürstliche Patrone konkurrierten faktisch durchaus auch miteinander um hochrangige, einflussreiche und besonders unabhängige Klienten - und nicht lediglich Klienten um die Gunst von mächtigen Patronen. Doch dieser Aspekt von Patronage schlug sich in den offiziösen Äußerungen der Betei-
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ligten kaum nieder, eher im Gegenteil. Um das Ende einer Patronagebeziehung zu begründen, und zwar sowohl für das eigene Handeln als auch gegenüber Dritten, reichte häufig allein der Verdacht der Illoyalitat, ein auf Doppel- oder Mehrfachbindungen ausgerichtetes, eben uneindeutiges Verhalten aus; dies zeigt, in welch hohem Maße die ausschließliche Bindung des Vasallen an einen - seinen - Herrn im Wertesystem des Patronagediskurses verankert war. Dennoch gehörte das Wissen um die in unterschiedlichem Maße realistischen Möglichkeiten der Wahl des Patrons zum Bewusstsein der frühneuzeitlichen Akteure: Um Interessen durchzusetzen, um den Herrn zu bestimmten Handlungen zu motivieren, instrumentalisierten Klienten häufig - wenn auch mehr oder weniger subtil - den Verweis auf Alternativen; ein bewusst eingesetzter Bruch des rhetorischen Comment.
Umgekehrt konnte aber auch der Fürst die Tätigkeit seiner Botschafter auf zwei Wegen kontrollieren, ergänzen und gegebenenfalls sogar umgehen. Dies geschah zum einen innerhalb des Botschaftspersonals selbst, durch juristische Vertreter, Botschaftssekretäre und Spione, die alle dem Botschafter nur sehr bedingt unter- und zugeordnet waren. Sie und ihre Tätigkeit waren primär auf den heimatlichen Hof und Fürsten ausgerichtet - dies nicht nur, um für bestimmte Bereiche außenpolitischen Handelns auf Fachleute zurückgreifen zu können, sondern in ebenso hohem Maße, um den Botschafter durch von ihm unabhängige Klienten der Zentrale zu kontrollieren [67].
Zum anderen jedoch existierten an den zentralen Höfen Europas Zirkel, die relativ eindeutig der Interessenssphäre einer fremden Fürstendynastie zuzuordnen waren. Die Konstruktion und Konsolidierung eines aus prominenten Aristokraten und Würdenträgern bestehenden Nukleus, der zugleich selbstverständlicher, ja elitärer Bestandteil der jeweils anderen Hofgesellschaft war, stellt ein genuines Produkt von Patronage-Aktionen dar: Denn es bedurfte der Kombination verschiedener Typen von Assoziationen, der Freundschaft, des Dienstverhältnisses und - am dauerhaftesten - der Verwandtschaft, um ein solides und für die Belange der Diplomatie dauerhaft nützliches Netzwerk in der Fremde zu erhalten. Teilhabe an und Integration in diese Kreise war für die Angehörigen der fremden Elite attraktiv, denn sie boten Partizipation an der Gnade des fremden Fürsten an. Insofern handelte es sich hier um ein weiteres Medium der Gestaltung zwischenstaatlicher Patronagepolitik [68]. Das Verhältnis einer solchen Gruppe zum Botschafter ist nicht leicht zu kategorisieren: Idealiter ist von einer Allzuständigkeit des Diplomaten, der das fremde Netzwerk in gewisser Hinsicht « organisierte », und Spezialzuständigkeiten der Freunde, Verwandten und Klienten auszugehen. Dies aber wurde faktisch oft durch die Konkurrenzsituation zwischen dem Botschafter und anderen Vertretern seines Landes bzw. Fürsten am gastgebenden Hof konterkariert.
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Wir gehen also davon aus, dass diese Zirkel im fremden Fürsten einen Patron sahen. Heiko Droste allerdings bestreitet, dass der Fürst als Patron gelten kann, denn der Fürst sei « nicht an einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Gabenkultur beteiligt. Es war also nicht möglich, die Gnade des Fürsten als prinzipiell unverdiente und voraussetzungslos gewährte Gabe einzufordern ». Folglich habe der Fürst nicht die Rolle eines Patrons bekleidet, denn: « Gnade und gegenseitige Verpflichtung schließen sich aus » [69]. Nun wurde in der Tat etwa in der Korrespondenz der spanischen Krone mit auswärtigen Fürsten und Würdenträgern konsequent die Bezeichnung « Gnade » (merced) durchgehalten, wenn eine Gabe gewährt wurde. Doch bedeutet dies nicht, dass die Empfänger dies ebenso sahen. Ihre Briefrhetorik lässt vielmehr erkennen, dass sie sich sehr wohl in einem do-ut-des-Austausch mit dem König sahen, dass sie deshalb auch gegebenenfalls Leistungen der spanischen Krone energisch einforderten und vor allem, dass der König bereit war, hierauf einzugehen.
Klienten äußerten dies besonders dort sehr offen, wo eine Konkurrenz auswärtiger Patrone bestand, so im Kirchenstaat. Kardinal Ascanio Colonna (1560-1608) gehörte einem seit Generationen als spanientreu geltenden Familienverband des Kirchenstaates an, der auch über Lehensbesitz im spanischen Königreich Neapel verfügte. Als im Januar 1606 die Würde des Kardinalprotektors von Kastilien vakant wurde, meldete er auf dieses vom spanischen König zu vergebende Amt seine Ansprüche an. Er verwies auf die zahlreichen Dienstleistungen seiner Vorfahren für die spanische Krone seit Karl V. und bemerkte, seine eigenen Leistungen seien derart notorisch, dass er den König nicht damit langweilen wolle. Dann erinnerte er Philipp III. daran, dass dieser ihm jüngst in Dankbarkeit für eine Schrift, welche die Rechtmäßigkeit des königlichen Patronats über die sizilianische Kirche verteidigt hatte, geschrieben hatte, er werde seiner bei der nächstmöglichen Gelegenheit gedenken. Diese Gelegenheit, so Colonna, sei nun da. Auch wenn Colonna sich des Vokabulars des Gnadendiskurses bediente und die Form der Supplik einhielt, so meldete er doch faktisch Ansprüche an, die ein Klient vom Patron billig würde erwarten können. Zwar blieb er erfolglos - die Protektion ging erwartungsgemäß an den einzigen in Rom residierenden spanischen Kardinal Antonio Zapata - doch zeigt die Reaktion Philipps dass er die Verpflichtungen als Patron sehr wohl anerkannte. Nachdem bereits der Staatsrat festgestellt hatte, dass die Verdienste Colonnas ein schwerwiegendes Argument seien, wies Philipp III. schließlich seinen römischen Botschafter an, Colonna mitzuteilen, dass man in dieser Frage nicht anders habe entscheiden können. Der Kardinal möge Philipp III. einen Brief schreiben, in dem er ihn von der Verpflichtung befreie - womit die Existenz dieser Verpflichtung und damit die do-ut-des-Qualität des Patronageverhältnisses von Seiten der Krone anerkannt wurde [70]. Philipp III. war folglich auswärtiger Patron der Colonna.
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Die kleinteilige Struktur Italiens mit relativ schwachen Fürstentümern und starken, an der Anbahnung von Patronagebeziehungen interessierten auswärtigen Mächten hat offenkundig dem Adel oder bürgerlichen Amtsträgern die Möglichkeit gegeben, auswärtige Fürsten als Patrone zu sehen. Ähnliche Verhältnisse sind auch für das Reich oder die Schweiz beschrieben worden [71].
Auf den ersten Blick gibt es durchaus den Versuch, den Monarchen aus dem durch den Patronagediskurs konstruierten Geflecht zu extrapolieren, nämlich durch die Person bzw. Institution des Günstling-Premierministers [72]. Diese « Zwischenfigur » zwischen dem Monarchen und allen potentiellen Bittstellern erfüllte eine Vielzahl von Funktionen, zu denen auch die Koordination der Patronage-Angelegenheiten zählte [73]. Indem das Patronage-Element der monarchischen Herrschaft, das immer parteiisch war, an einen Dritten delegiert wurde, konnte das monarchische Selbstbild der Unparteilichkeit, eben des desinteresse, gewahrt bleiben; zugleich fungierte der Günstling als (indirekter) Adressat jeder Kritik am Monarchen - wollte man den König beschimpfen, dann beschimpfte man den Günstling und hielt so die Person des Herrschers rein von Unflat. Diese Blitzableiter- oder Pufferfunktion des Favoriten wurde auch durch die Monarchen selbst instrumentalisiert, die auf massive Angriffe auf die eige-
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ne Herrschaftspraxis im Extremfall mit dem Fall des valido, mignon usw. reagieren konnten. Während es also zutrifft, dass Monarchen sich mit Hilfe ihrer Günstlinge diesen Handlungsmustern und Sprachspielen entzogen, so war doch allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass sie in den Äußerungen und Gunsterweisen der Favoriten mit denen des Herrschers konfrontiert waren. Es durfte ja auch in Habitus und Rhetorik des Günstlings nie zweifelhaft bleiben, von wem alles Gute letztlich stammte! Ebenso offenkundig war, dass der Herrscher - wenn auch vermittelt - durchaus an den Strukturen von Patronage und Klientel partizipierte und durch kontinuierliche Bitten, Verweise auf die eigenen Verdienste und sanfte Drohungen (z.B. den Hinweis auf attraktive Alternativpatrone) unter Druck gesetzt werden konnte. Es ist einleuchtend, dass gerade auswärtige, dem unmittelbaren Zugriff des fremden Patrons entzogene Klienten dies besonders deutlich formulierten und damit die Rolle und Verpflichtungen des Monarchen als Patron offen legten.
Resümierend ist festzuhalten, dass die Untersuchung von grenzüberschreitenden Patronagebeziehungen geeignet ist, die für die Zeit bis ins 18. Jahrhundert anachronistische Fixierung auf den Staat als maßgebliche und geschlossen handelnde Einheit in den Außenbeziehungen aufzubrechen. Die akteurszentrierte Perspektive lässt erkennen, dass die an den Außenbeziehungen beteiligten Personen nach der Logik und Ethik des Patronagediskurses handelten. Sie erlaubt einen Blick auf die politische Kultur der Frühmoderne, in welcher Personenbindungen (und eben noch keine abstrakte Staatsbindung) vorherrschten und Mehrfachbindungen an verschiedene Fürsten möglich waren. Inwieweit grenzüberschreitende Patronagebindungen eher ein stabilisierendes Moment in den Außenbeziehungen darstellten, indem sie feste Bindungsstränge schufen, oder aber die beschriebene Rollenvielfalt der Akteure eher als Faktor der Instabilität zu gelten hat, müssen vergleichende Untersuchungen noch klären [74].
III. Patronage und Kultur
Forschungen zur frühneuzeitlichen Patronage konzentrierten sich bisher in erster Linie auf ihre funktionale Dimension und folgten damit einer in der Sozialgeschichte etablierten Methode [75]. Diese Funktionalität oder Instrumentalisierung lässt sich auf verschiedenen Ebenen der historiographischen Perspektive und der beteiligten Handelnden abbilden: Patronage wurde erstens identifiziert als zentraler Katalysator der Staatsbildung; damit entpuppte sie sich zweitens als Herrschaftsmittel der Mächtigen sowohl des Zentrums (der fürstlichen Dynastie und ihrer ersten
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Diener) als auch der jeweiligen Peripherien, der lokalen Eliten; sie kann also drittens als selbstverständliches Medium der Realisierung kollektiver und individueller Interessen gelten.
Eine derart verstandene Patronage entpuppt sich als gelinde gesagt gewichtiges Element der « politischen Kultur » des frühneuzeitlichen Europa, als nur schwer hintergehbarer Denk- und Handlungsrahmen für jegliches politisches Handeln. Insofern lieferte und liefert die Patronageforschung Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Politik, die nicht lediglich auf den « Wandschmuck » der Politik, das « hübsch Bunte und irgendwie Kulturelle », sondern auf die Politik selbst, die konkreten Entscheidungsprozesse und ihre Wertgefüge abzielt [76]. Die Analyse frühneuzeitlichen politischen Handelns als Ausfluss einer von Patron-Klient-Beziehungen strukturierten sozialen und ideellen Ordnung ist somit eine genuin kulturgeschichtliche Aussage.
Dennoch: Patronage existierte nie « an sich » und eben deswegen nie als gesamteuropäisch einheitliche Institution [77]. Unabhängig davon, ob man Patronage als Produkt einer durch eine Vielzahl von Faktoren charakterisierten Kultur oder als einen Faktor neben anderen, die politische Kultur prägten, begreift - ihre konkreten Formen, Ethiken, Sprachen, ihre Rhetorik und ihre Reichweite waren variabel. Die Gegenüberstellung von Bologna und Ferrara beispielsweise hat gezeigt, dass innerhalb der selben politischen Einheit, des Kirchenstaats, Patronage ganz unterschiedliche Ausgestaltungen aufwies, die durch unterschiedliche kommunale Traditionen und Leitbilder - das Ideal einer unabhängigen Stadtrepublik mit einer sich horizontal definierenden Oberschicht hier, die auf den Fürsten ausgerichtete höfische Gesellschaft dort - zu erklären sind. Es liegt nahe, z. B. in Republiken wie Venedig und den Niederlanden oder dem polnischen Adelsstaat wesentlich andere Realisierungen des Patronage-Modells zu vermuten als in Erbmonarchien. Wieder andere Varianten politischer Kultur sind in geistlichen Fürstentümern mit ihrer Rhetorik der Spiritualität und Meritokratie zu erwarten.
Schließlich ist die Vermutung schwer von der Hand zu weisen, dass die verschiedenen konfessionellen Spielarten des Christentums sich auch in verschiedenen Formen von Patronage äußerten. Wolfgang Reinhard hat – ausgehend von römischen Beispielen – die Tatsache, dass auch die Heiligenverehrung, ja selbst der Gottesdienst in Termini von Klientel und Patronage verhandelt wurde, dahingehend gedeutet, dass eine Vorstellung von sozialen Bezügen, die bis ins Transzendente hineinreicht, als wirklich allumfassend, als « total » gedeutet werden müsse [78]. Das Argument lässt sich auch umkehren: Eine Gesellschaft, die in der Form von Heiligen Mittler zu
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Gott besitzt (und diese im Übrigen durch Propaganda, Patronage und politischen Druck ggf. sogar herstellen kann), wird höchstwahrscheinlich auch andere Konzeptionen, Ethiken und Praktiken von Patronage entwickeln als eine Religionsgemeinschaft, die die Unmittelbarkeit des Bezugs von Gott und Mensch in den Mittelpunkt stellt [79]. Es ist richtig, dass für bestimmte kulturelle Aspekte von Patronage - ihre Sprachen, Symbole, Rituale und Performanzen - noch so gut wie keine Untersuchungen vorliegen. Allerdings steht dem die bisherige Forschung weder grundsätzlich noch praktisch entgegen - al contrario. Zwei Beispiele aus dem konfessionellen Bereich sollen abschließend zeigen, wie Patronage in der Frühen Neuzeit codiert wurde, in welche Formen sie sich - je nach kulturellem Kontext - kleiden konnte: Die Semiotik der Dissimulation und das Ideal des Nicht-Verflochtenseins.
a) Die Semiotik der Dissimulation
Die Auseinandersetzung mit dem von der Patronage-Forschung hauptsächlich benutzten Quellenmaterial, den Korrespondenzen, förderte ein ausgesprochen vielfältiges Vokabular zur Benennung der Beziehungen zutage und warf zugleich die Frage auf, wie mit diesen Zeugnissen umzugehen sei [80]. Drei grundlegend unterschiedliche Positionen können hier in der Forschungsdiskussion ausgemacht werden. Die erste wurde von Roland Mousnier vorgelegt, der emotionale Treuebeziehungen von materialistischen Klientelbeziehungen schied [81]. Er legte hierzu eine beeindruckende Phänomenologie des Treuediskurses in Frankreich vor, wobei er, wohl nicht zuletzt aus ideologischen Gründen, auf dem
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emotionalen, auf Dauer angelegten Charakter der fidélité-Beziehungen insistierte, die er in sein idealistisches Panorama einer « société de fidèles » einordnete. Trotz der behaupteten Unterschiede zwischen fidélité und clientèle bleiben Mousnier und seine Schüler allerdings die Antwort auf die Frage schuldig, wie in der historischen Analyse diese Unterscheidung getroffen werden soll. Die deskriptive Vorgehensweise Mousniers, die eher die Verwendung des Begriffs der fidélité nachweist als die tatsächliche Existenz von Treuebeziehungen, suggeriert jedoch, dass Mousnier davon auszugehen schien, dass, wo fidélité steht, auch fidélité sei. Kann aber von einem Diskurs der Treue auf die Existenz von Treue geschlossen werden [82]?
Sharon Kettering geht davon aus, dass eine klare Trennung zwischen Treuebeziehungen und Klientelbeziehungen weder möglich noch notwendig ist und Klientelbeziehungen auch Treuebeziehungen umfassen. Sie unterstreicht, dass sich bei genauerer quellenkritischer Untersuchung feststellen lässt, dass Sprache und Handeln nicht immer übereinstimmen, zugleich aber auch Emotionalität mit einem durch Eigeninteressen motivierten Handeln durchaus vereinbar ist [83].
Der von Kristen Neuschel gemachte Vorstoß, in einem « linguistic turn » die Unterscheidung zwischen verbalen Treuebezeugungen und materiellem Austausch aufzuheben und gleichzustellen, was einem « zurück zu Mousnier » gleichkommt, konnte nicht überzeugen [84]. Ganz abgesehen von der Frage, wie langfristig ein Auseinanderklaffen von Wort und Tat rational verhandelbar war, scheint diese Variante, wie schon Mousnier, davon auszugehen, dass sprachlich vorgetragene Loyalität und Affektivität auch wirklich geglaubt wird, und zwar vom Sender wie vom Empfänger. Arthur L. Herman hat, angeleitet von Austins Idee des sprachlichen Handelns sowie von den von Quentin Skinner formulierten Überlegungen zur Beziehung zwischen sozialer Bedeutung und sozialem Handeln, einen Ausweg formuliert, der darauf abzielt, die Sprache der Treue als auf einen Werthorizont abzielende Handlung aufzufassen [85]. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens nicht nur auf der Beziehung zwischen « signifiant » und « signifié » beruht, sondern sein Sinn Ietztlich nur durch seinen pragmatischen Kontext erschlossen werden kann. Wie Perez Zagorin feststellte, war die Frühe Neuzeit nicht nur ein Zeitalter der « Konfessionen » und Bekenntnisse, sondern weitaus mehr noch,
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ein Zeitalter der Dissimulation [86]. Der von Droste vorgetragene Vorwurf, die Patronageforscher nähmen ihre Quellen nicht ernst, ja ziehen die Schreiber der Lüge, geht daher nicht nur gänzlich am Problem vorbei, sondern wäre wohl gerade von den Protagonisten des 17. Jahrhunderts nicht verstanden worden. Dies ist Ausdruck eines völligen Missverständnisses der Bedeutung des Kontextes sowie des Charakters von Sprache [87]. Die rhetorischen Ergebenheitsbeteuerungen nur im Hinblick auf ihren emotionalen Wahrheitsgehalt zu überprüfen und ernst zu nehmen, ist Zeitverschwendung und verkennt das Problem. Vielmehr schuf Dissimulation eine wichtige Grundlage für Klientelverbindungen: Vertrauen [88]. Sie war vielfach verankert: in der politischen Theorie [89], in der politischen Praxis [90] sowie in der Moraltheologie [91]. Der Aufstieg der Hofgesellschaft, die Entwicklung des Machtstaates und der Prozess der Konfessionalisierung setzten das Individuum in nie
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zuvor gekannter Weise von außen unter Druck. Zur Herstellung und Überprüfung der Konformität diente eine Vielzahl staatlicher und religiöser Repressionsapparate, denn mit der Zunahme des Konformitätsdrucks stieg auch die Tendenz, sich diesem zu entziehen. Während in der politischen Theorie Dissimulation zum vollendeten Mittel der Machtsteigerung und Unterwerfung avancierte, entzogen sich am anderen Ende die Objekte derselben gleichfalls mit den Mitteln der Dissimulation [92]. Reservatio mentalis, amphibologia, dissimulatio dienten, anders als Pascal meinte, nicht dazu, das Lügen zu erleichtern, sondern sollten Beichtvätern helfen, individuelle Gewissensqualen in der zunehmend komplexen Welt nach den Regeln christlicher Moral aufzulösen. Doch selbst im Beichtstuhl, der Institution der Wahrheitsfindung, der Gewissenskontrolle schlechthin, herrschte das Prinzip der Dissimulation, und zwar auf beiden Seiten [93].
Das hier nur skizzierte breite Spektrum des Dissimulationsdiskurses im 17. Jahrhundert legt nahe, dass der klienteläre Diskurs hiervon nicht unkontaminiert blieb und folglich nicht mit Bekenntnisliteratur zu verwechseln ist. Dissimulation war weder verwerflich noch irrational, sie war normkonform und geboten und muss daher auch bei der historischen Analyse berücksichtigt werden [94]. Klienten konnten sich staatstragender, klientelerer oder kruder auf das Eigeninteresse abstellender Diskurse bedienen und hierzu mit adäquaten Formeln den entsprechenden Wertehorizont evozieren. Dies war gleichsam die Voraussetzung der Freiheit des Individuums, das eben nicht der Willkür des Patrons ausgeliefert war, sondern (sich) selbst gestaltete (« self fashioning »).
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b) Das Ideal des Nicht-Verflochtenseins
Patronage als eine Form sozialer Beziehungen, die auf Gabentausch beruhte und deren Leistung insbesondere im Aufbau vertrauensvoller Bindungen lag, scheint ein die gesamte Gesellschaft umfassendes Phänomen gewesen zu sein. Indes sollte die Allgegenwart von Patronage - oder hier besser in der allgemeineren Form: von Verflechtung - nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Teile der Gesellschaft gab, die generell oder in bestimmten sozialen bzw. politischen Kontexten bewusst und gezielt den Bindungen, Normen und Verpflichtungen von Patronage, Freundschaft und Verwandtschaft zu entkommen suchten. Sie setzten dem Ethos der Verwandtenförderung und des Gabentausches ein anderes Ethos entgegen - und schufen damit Vertrauen. Es gab also ein alternatives Konzept von Vertrauen, das zumindest theoretisch in schroffem Gegensatz zu den Normen der Verflechtung stand.
An dieser Stelle müssen einige Hinweise auf solche Gruppen und Kontexte genügen. Ein Beispiel stellt das Lebenskonzept des Mönchtums dar. Es basierte auf der Vorstellung von der Teilhabe am Reich Gottes durch Verzicht auf Erden mittels Askese und implizierte das Abbrechen der Beziehungen zur « Welt » mit dem Eintritt in den Orden. Innerklösterliche Kontemplation sollte die Gottesbegegnung schon im irdischen Leben ermöglichen [95]. Die Selbstheiligung einer Minderheit war kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern wurde als ausgesprochen wirkungsvoll fur die Gesamtgesellschaft erachtet: Denn die ostentative Zurückweisung der Normen der Welt schuf auch Glaubwürdigkeit, mithin Vertrauen [96].
In der katholischen Welt der Frühen Neuzeit haben die reformierten Bettelorden – Franziskaner-Observanten, Kapuziner und Theatiner vor allem - einen Gutteil ihrer Wirkung auf die Gläubigen der Wahrnehmung als am Rand der Gesellschaft stehende, sich der Verflechtung mit der Welt weitgehend enthaltende Gruppen zu verdanken. Gerade die relativ strikte Einhaltung des Armutsgebots und der klösterlichen Klausur und die weitgehende Kappung der Familienbindungen der einzelnen Mendikanten stärkte deren seelsorgerische Glaubwürdigkeit. Die Gläubigen betrachteten die relative Weltferne der Mendikanten als Garantie für deren Gottesnähe. Diese waren daher sehr gefragte Vermittler zu den Heiligen, und von ihnen geweihte Sakramentalien galten als besonders wirksam. Weltferne implizierte aber auch, dass die Mendikanten als von Familien- und Klientelbin-
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dungen relativ freie und daher unvoreingenommen urteilende Vermittler oder Fürsprecher wahrgenommen wurden. Mendikanten finden wir daher oft als gewichtige Fürsprecher vor Gericht, als Vermittler in familiären Konflikten oder als Diplomaten. So entstand die paradoxe Situation, dass die « religiösen Virtuosen » [97] wegen der ihnen zugesprochenen Qualitäten ständig zum Eingriff in die Welt genötigt wurden. Ordensinterne Quellen lassen erkennen, dass die Ordensoberen stets bemüht waren, die Aktivitäten ihrer Mitbrüder zwischen Regelstrenge und Kontemplation auf der einen Seite und Erfüllung des Bedarfs der Gläubigen und Obrigkeiten nach Tätigkeit in der Welt auf der anderen Seite auszutarieren. Regelstrenge war die Grundlage des sozialen Kapitals der Reformorden, das stets sorgsam vor zu großer Einmischung in die Geschäfte der Welt zu hüten war [98].
Ein weiteres Beispiel betrifft die politische Ethik protestantischer Gemeinwesen der Frühen Neuzeit. Auf protestantischer Seite, wo die religiösen Virtuosen fehlten, war im politischen Alltag die Bereitschaft größer, bestimmte Bindungen bzw. allzu starke Verflechtung mit Verrat oder Korruption zu identifizieren. So geriet in protestantischen Kantonen der Schweiz seit der Reformation die Annahme von fremden Pensionen durch Amtsinhaber in Misskredit und unterblieb in der Folge tatsächlich weitgehend; die Ethik des gemeinen Gutes konditionierte also das politische Handeln der Obrigkeiten. Diese Ächtung von Außenbindungen, die von Vertretern der reformierten Kirche ausging, ist in katholischen Kantonen nicht zu beobachten [99]. Auch wenn hierfür durchaus auch wirtschaftliche Ursachen angeführt werden können und der Wandel des Korruptionsdiskurses vorreformatorische Ursprünge hat, erscheint die These gerechtfertigt, dass der Protestantismus einer Ethik bessere Entfaltungsmöglichkeiten bot, die einen Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Verflechtung sah. Möglicherweise verlangte der Protestantismus ein höheres Maß an christlicher Tugend in der politischen Praxis, gewissermaßen als Selbstheiligung des Individuums als Teil der kommunalen oder territorialen Heilsgemeinschaft vor Gott [100].
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Diese beiden Beispiele aus unterschiedlichen konfessionellen Kulturen verweisen auf das Phänomen, dass ostentative Zurückhaltung gegenüber den Anforderungen der Verflechtung in bestimmten Kontexten Ansehen und Legitimität stiften konnte. Das Beispiel der Ethik des gemeinen Gutes könnte zu dem Schluss verleiten, hier sei die Zurückdrängung der vermeintlich vormodernen Ethik der Patronage bzw. Verflechtung durch eine ebenso vermeintlich spezifisch moderne, gemeingutorientierte Ethik der Sachpolitik abgelöst worden. Auch Mousnier vertrat ja die Auffassung, der Diskurs der fidélité habe am Ende des 17. Jahrhunderts abgenommen und sich im 18. Jahrhundert verloren.
Doch ebenso wenig wie die Patronage je alle Winkel der Gesellschaft und der menschlichen Beziehungen zu besetzen vermochte, ließ sie sich durch theologischen Rigorismus, Nepotismuskritik oder, genereller, « Modernisierung » wieder aus der Mitte der Gesellschaft vertreiben. Wir wissen seit Saint-Simon, dass Patronage beispielsweise am Hof von Versailles recht munter fortbestand. Allerdings: Ein zentraler Bestandteil des Systems, seine Selbstverständlichkeit in vielen Sektoren der Gesellschaft, seine Unanfechtbarkeit wurden zunehmend in Frage gestellt. Entscheidend hierfür war möglicherweise eine Entwicklung, welche die selbstverständliche Koexistenz von Normen, zwischen denen der vormoderne Mensch je nach Kontext und Bedürfnis hin- und herschalten konnte [101], nicht mehr akzeptabel erscheinen ließ. Der « Aufstieg des buchstabengetreuen Denkens » [102], die Verdichtung von Staatlichkeit könnten zu einer Hierarchisierung von Normen geführt haben, mit der Folge einer rigoroseren Handhabung bestimmter normativ-moralischer Standards. Der Staatsdiener etwa durfte nun nicht mehr Verwandte bevorzugen, sondern hatte - nach außen jedenfalls! - dem Ethos der Sachpolitik zu folgen. Patronage zog sich nach und nach in den Graubereich von Begünstigung und Korruption zurück.
Es wird zu den Aufgaben der zukünftigen Patronageforschung gehören, die hier angedeuteten Veränderungen im 18. und 19. Jahrhundert zu verfolgen und ihre Durchschlagskraft und Reichweite kritisch in den Blick zu nehmen. Es wäre nach Veränderungen in Form und Aufbau der Klientel, den institutionellen Interaktionsmustern sowie Verschiebungen des politischen Vokabulars zu fragen. Ein weiterer Fragenkomplex betrifft die genauere Einordnung konfessioneller Faktoren. Wenn sich die Welt laut Max Weber nach verschiedenen Gesichtspunkten hin rationalisieren ließ, so gilt dies sicherlich auch für die Frage der sozialen Interaktion und ihrer gesellschaftlichen (Be-)Deutung.
Abréviations
GG : Geschichte und Gesellschaft
ZHF: Zeitschrift für historische Forschung
Notes
[1] Heiko Droste, „Patronage in der Frühen Neuzeit - Institution und Kulturform“, in: ZHF 30 (2003), 555-590, hier 557.
[2] Vgl. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. « Verflechtung » als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979, 19; ders., „Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert“, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 76 (1996), 308-334, hier 312.
[3] Wolfgang Reinhard, Amici (Anm. 2), 333. Hervorhebung im Originaltext. Erneut und grundsätzlich zur Frage der « politischen Kultur » ders., „Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer Historischen Anthropologie“, in: GG 27 (2001), 593-616, hier 594 f.
[4] Sharon Kettering, “The Historical Development of Political Clientelism”, in: Journal of Interdisciplinary History 18 (1988), 419-447, hier 424; Shmuel N. Eisenstadt / Louis Ronger, “Patron-Client Relations as a Model of Structuring Social Exchange”, in: Comparative Studies in Society and History 22 (1980), 46-72, Literaturüberblick der bis dahin erschienenen Arbeiten, 44-46. Zur Frage, wie unter der Feder zumeist angelsächsischer Forscher der „mediterrane” Fall zum Idealtypus gerann: Gérard Lenclud, „Le patronage politique. Du contexte aux raisons », in: L’anthropologie de la Méditerranée / Anthropology of the Méditerranean, hrsg. v. Dionigi Albera / Anton Blok / Christian Bromberger, Paris 2001, 277-306, hier 281-290.
[5] Am prägnantesten Shmuel N. Eisenstadt, „Studies of Modernization and Sociological Theory“, in: History and Theory 13 (1974), 225-252; Forschungsüberblick in Nicole Reinhardt, „’Verflechtung’ - ein Blick zurück nach vorn“, in: Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, hrsg. v Peter Burschel [u. a.], Berlin 2002, 235-262, hier 236-241.
[6] VgI. Wolfgang Reinhard, Freunde (Anm. 2), 3.
[7] Klassenbildung und Patronage müssen sich allerdings nicht widersprechen, vgl. hierzu David Parker, „Class, Clientage and Personal Rule in Absolutist France“, in: Seventeenth Century French Studies 2 (1987), 192-213, hier 199—202; Robert K. Kaufman, „The Patron-Client Concept and Macro-Politics. Prospects and Problems”, in: Comparative Studies in Society and History 16 (1974), 284 -308, hier 298 f.
[8] Vgl. Wolfgang Reinhard, „Nepotismus. Strukturwandel einer papstgeschichtlichen Konstante“, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 2 (1975), 145 -185.
[9] Arlette Jouanna, Artikel « Clientèles », in: Dictionnaire de l’Ancien Régime, hrsg. v Lucien Bély, 2. Aufl., Paris 2002, 268-270.
[10] Max Weber, „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, 7. Aufl., Tübingen 1988, 475-488, hier 477 f.
[11] Zur Widerstandsfähigkeit und Veränderung feudaler Strukturen in der Frühen Neuzeit, vgl. Renata Ago, La feudalità in età moderna, Bari 1994, 203-211.
[12] Eisenstadt / Roniger, „Patron-Client Relations“ (Anm. 4); Kettering, „Development“ (Anm. 4), passim, mit zahlreichen Beispielen unterschiedlicher historischer und geographischer Provenienz; Anton Blok, „Variations in Patronage“, in: Sociologische Gids 16 (1969), 365-378.
[13] Konflikte und Auseinandersetzungen artikulieren sich unter dieser Perspektive in gegensätzlichen Netzwerken (Faktionen, Parteien).
[14] Vgl. Wolfgang Reinhard, “Introduction. Power Elites, State Servants, Ruling Classes, and the Growth of State Power”, in: Power Elites and State Building, hrsg. von dems., Oxford 1996, 1-18, hier 5. Diesen zweiten Teil der Ausführungen Reinhards zur Beschreibung der Eigeninteressen unterschlägt Droste (Droste, „Patronage“, [Anm. 1], 563).
[15] Zur Irrationalität der kapitalistischen Rationalität und Lebensführung vgl. Max Weber, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, 9. Aufl., Tübingen 1988, 17-206, hier 54, 62.
[16] Beispiele für diese Verwendung von interesse bei Christian Wieland, Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621) (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, 20), Köln / Weimar / Wien 2004, 480-487.
[17] Der Gegensatz von Eigeninteresse und bonum commune ist eben keine Konstruktion von in moralischen Urteilen behafteten Historikern (so Droste, „Patronage“, [Anm. 1], 589), sondern entspricht frühneuzeitlichen Wertvorstellungen. Hinweise darauf finden sich bei Horst Dippel, „Tugend und Interesse bei Harrington. Einige Anmerkungen anläßlich der Neuausgabe seiner Werke“, in: GG 10 (1984), 534-545.
[18] Und keineswegs ein von den Patronageforschern angenommener Zynismus der Klienten, wie Droste unterstellt. Vgl. Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 559. Es geht nicht um die „Verhüllung” von Interessen, sondern um deren Integration in den anerkannten Sprech- und Handlungsrahmen der zeitgenössischen Ethik.
[19] Lenclud, “Patronage” (Anm. 4), 277. Ähnlich auch Shmuel N. Eisenstadt, “Ritualized Personal Relations: Blood Parenthood, Best Friends, Compadre, etc.: Some Comparative Hypotheses and Suggestions” in: Man 56 (1956), 90 -95, 93.
[20] Droste schreibt: « Zu den blinden Flecken der Patronageforschung gehört daher schließlich auch, dass die von ihr unterstellte Dysfunktionalität einer über Jahrhunderte festzustellenden Patronagekultur nicht zum Befund einer erfolgreichen Staatsbildung in Europa passt » (Droste, „Patronage“ [Anm. 1], 569). Dagegen ließen sich zahlreiche Arbeiten und prägnante Zitate auch der von Droste attackierten Patronage-Forscher anführen. Um nur ein Beispiel aus einem von Droste selbst zitierten Band herauszugreifen: Gerald E. Aylmer, “Centre and Locality: The Nature of Power Elites”, in: Power Elites and State Building, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Oxford 1996, 59-77, hier 66: « the oil of patronage was the normal lubricant which made the wheels of government go smoothly round ». Weitere Beispiele sind überflüssig, verweist doch Droste selbst auf « viele Darstellungen zu den Motiven der Patrone », die sich « auf die Ausübung politischer Macht, die Kontrolle eines Herrschaftsapparats oder die Verwaltung peripherer Territorien » beschränken (Droste, „Patronage“ [Anm. 1], 564). Diese Beschränkung ist nach Droste natürlich grundfalsch, aber wohl eher damit zu erklären, dass die nicht näher benannten Studien nicht primär nach Patronage an und für sich und nach den Motiven der Patrone fragen, sondern eben nach der Ausübung politischer Macht etc. - was zwar nicht zwingend kulturalistisch, aber doch legitim ist. Immerhin bewegt der Blick auf diese Studien Droste zu dem Hinweis, dass im Lichte ihrer Ergebnisse Patronage « zu einem zentralen Element frühneuzeitlicher Herrschaft » wird. Dass er unbeschwert von dieser Einsicht einige Seiten weiter die genannten « blinden Flecken » entdeckt und damit das schiere Gegenteil behauptet, gehört zu den Eigenheiten seines Textes.
[21] Vgl. hierzu etwa Reinhard Blänkner, „Überlegungen zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Theorie politischer Institutionen“, in: Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie, hrsg. v. Gerhard Göhler, Baden-Baden 1994, 85-122; Reinhard Blänkner / Bernhard Jussen, „Institutionen und Ereignis. Anfragen an zwei alt gewordene geschichtswissenschaftliche Kategorien“, in: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hrsg. v. dens., Göttingen 1998, 9-16.
[22] Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 574.
[23] Dass Droste Vertrauen als affektive Kategorie begreift, mit Nähe und Vertraulichkeit in Verbindung bringt und in den Briefen erkennen zu können glaubt, legen folgende Passagen nahe: lm Blick auf die « Debatte um die Aufrichtigkeit der Briefe », hinter der « die Auseinandersetzung um den Charakter der Beziehung zwischen Patron und Klient » stehe, wirft Droste Sharon Kettering vor, sie betone zwar « ausdrücklich, dass die affektiven Elemente der Patronage nicht geleugnet werden sollten », doch bleibe dies bei Kettering « folgenlos, denn an den affektiven Momenten der Patronage zeigt sie ebenso wenig Interesse wie die meisten anderen Forscher. Ihre prinzipielle Skepsis bezüglich der Briefsprache beraubt sie jedweder glaubwürdiger Quellen » (Droste, „Patronage“ [Anm. 1], 562 f.). Droste berichtet, was er in den Briefen zu finden glaubt: « Das Vertrauen prägte die Briefe zwischen Patron und Klient in vielfältigen Wendungen. » (ebd., 575) Und wenig später heißt es mit Blick auf die Erörterung von Ehre und Kredit zwischen Patron und Klient: « Im Übrigen bestand eine wesentliche Leistung von Patronage gerade darin, dass sie eine Nähe und Vertraulichkeit zwischen Patron und Klient herstellte, die diese Erörterung erst ermöglichte. Die Briefe zwischen Patron und Klient dienen hier als verlässliche Materialsammlung. » (ebd., 582) Vgl. auch Drostes Hinweis auf die « Erörterung individueller Interessen in einer durch Nähe geprägten Beziehung » (583).
[24] Droste, Patronage (Anm. 1), 561. Um nur einige einschlägige Titel zu nennen: Vincent Ilardi, „Crosses and Carets. Renaissance Patronage and Coded Letters of Recommendation”, in: American Historical Review 92 (1987), 127-149; Arthur L. Herman, “The Language of Fidelity in Early Modern France”, in: The Journal of Modem History 67 (1995), 1-24; Jay Smith, “No More Language Games. Words, Beliefs, and the Political Culture of Early Modem France”, in: The American Historical Review 102 (1997), 1413 -1440. Vgl. auch die folgende Fußnote.
[25] Die nachfolgenden Ausführungen sind allesamt entnommen aus: Birgit Emich, Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Rom (Päpste und Papsttum, 30), Stuttgart 2001. Droste verweist in Anm. 41 auf dieses Buch, hat es aber offensichtlich nicht konsultiert (wofür auch der ursprünglich der Verlagsankündigung entstammende, bei einem Blick in das Buch aber leicht zu korrigierende Fehler in der Titelangabe [1606 statt 1605] spricht). Daher sei es gestattet, einige Beispiele und Ergebnisse dieses Buches hier kurz zu wiederholen. Um die Anmerkungen zu entlasten, werden hier nur die wörtlichen Zitate nachgewiesen. Alle weiteren Belege sind im genannten Werk leicht zu finden.
[26] Borghese an Spinola, 12. September 1606: Nel Concistoro di questa mattina Nostro Signore ha creato Vostra Signoria Illustrissima Cardinale con motta satisfattione propria et con altrettanto applauso del Sacro Collegio, ma in particolare con una mia pienissima contentezza. Ne do conto à Vostra Signora Illustrissima per cor riero espresso et me ne rallegro affettuosamente con lei la quale sapendo l’animo mio at l’amore che le ho portato in ogni tempo, congiunto con quella stima che richiede il suo valore, è tenuta a credere che io habbia premuto sommamente nella sua esaltatione [...], Archivio Segreto Vaticano, Fondo Borghese II 346, 54.
[27] Spinola an Borghese, 14. September 1606: [...] et sono sicurissimo che la protetione sua mi ha giovato infinitamente; pub in ogni tempo sin che havero spirito promettersi d’me sua creatura ogni osservanza et fede [...], Archivio Segreto Vaticano, Fondo Borghese II 322, 176.
[28] Spinola an Paul V., 14. September 1606: [...] si grau mercede [...] mi constituisce independente d’ognuno et solo obligato alla bontà sua con desiderio infinito di servire sin che havero vita a Vostra Beatitudine, al Signore Cardinale Borghese, et tutta sua Casa [...], Archivio Segreto Vaticano, Fondo Borghese II 322, 176.
[29] Vgl. Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl., Stuttgart 2000, zitiert bei: Droste, „Patronage“ (Anm. 1), Anm. 71, in der 3. Auflage.
[30] Luhmann, Vertrauen (Anm. 29), 38.
[31] Es handelt sich um den Kardinal Carlo Emanuele Pio di Savoia. Vgl. Birgit Emich, „Karrieresprung und Imagewandel. Die zwei Gesichter des Kardinals Carlo Emanuele Pio di Savoia (1585-1641)“, in: Jagd nach dem roten Hut. Kardinalskarrieren im barocken Rom, hrsg. v. Arne Karsten, Göttingen 2004, 126-139.
[32] John H. Elliott, “A Europe of Composite Monarchies”, in: Past & Present 137 (1992), 48-71.
[33] Vgl. Charles Tilly, Coercion, Capital, and European States, AD 990-1992, Oxford 1992, 54 ff.; Wolfgang Reinhard, “Introduction” (Anm. 14), 10, 16.
[34] Vgl. auch Jean-Frédéric Schaub, Portugal na Monarquia Hispânica (1580-1640), Lissabon 2001; John H. Elliott, Imperial Spain, 1469-1716, 4. Aufl., London 2002, 386.
[35] Vgl. Jeremy Boissevain, Friends of Friends. Networks, Manipulators and Coalitions, Oxford 1974, 163. Die grundlegende historische Ausarbeitung bei Sharon Kettering, Patrons, Brokers and Clients in Seventeenth Century France, Oxford 1986; zu England Victor Morgan, “Some Types of Patronage, mainly in Sixteenth and Seventeenth Century England”, in: Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Antoni Maczak (Schriften des Historischen Kollegs, 9), München 1999, 91-115. Die Abschaffung des Brokers bei Droste (Droste, „Patronage“ [Anm. 1], 585 f.) beraubt das Patronagemodell seiner räumlichen und damit einer zentralen politischen Dimension.
[36] Vgl. Morgan, „Types“ (Anm. 35), 115; Kaufman, „Patron-Client Concept“ (Anm. 7), 301.
[37] Zur Komplementarität von Vertrautheit und Vertrauen vgl. Luhmann, Vertrauen (Anm. 29), 20-27. Während Vertrautheit sicheres Erwarten aus dem Horizont der Vergangenheit heraus ermöglicht, nimmt Vertrauen « Zukunft vorweg » (ebd., 9).
[38] Vgl. neben Kettering, Patrons (Anm. 35), auch Birgit Emich, Territoriale Integration in der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Köln / Weimar / Wien 2005. Zur Verwandlung der Condé von Konkurrenten der Bourbonen zu Dienern königlicher Macht sowie der Einbindung der Condé-Klientel unter Ludwig XIV, vgl. Katia Béguin, Les princes de Condé. Rebelles, courtisans et mécènes dans la France du Grand Siècle, Paris 1999.
[39] Vgl. Ariane Boltanski, « Le pouvoir en partage. Les litiges entre le duc de Nevers et le gouvernement monarchique (1614-1617) », in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 46 (1999), 117-145, 138-145; zum Vor- und Nachteil der « neuen » oder alten Eliten als Ansprechpartner vgl. auch Gunner Lind, « Great Friends and Small Friends », in: Power Elites, hrsg. v Wolfgang Reinhard (Anm. 14), 136.
[40] Vgl. Kettering, “Development” (Anm. 4), 419-447; dies., Patrons (Anm. 35), 209.
[41] Vgl. Jouanna, Art. „Clientèles” (Anm. 9), 269; Roland Mousnier, « Les fidélités et les clientèles en France aux XVIe, XVIIe et XVIIIe siècles », in: Histoire sociale - Social History 29 (1982), 35-46, 43. Article réédité sur Cour de France.fr : lien.
[42] Kaufman, « Patron-Client Concept » (Anm. 7), 306.
[43] Emich, Integration (Anm. 38); Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung. Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Tübingen 2000; Ingo Stader, Herrschaft durch Verflechtung. Perugia unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Frankfurt [u. a.] 1997.
[44] Vgl. Paolo Prodi, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime. La monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982.
[45] Vgl. Wolfgang Reinhard, “Papal Power and Family Strategy in Sixteenth and Seventeenth Centuries”, in: Princes, Patronage and the Nobility at the Beginning of the Modern Age c. 1450-1650, hrsg. v. Ronald G. Asch/Adolf M. Birke, Oxford 1991, 329-356, hier 352 f.
[46] Zur relativen Stabilität auf der mittleren Ebene vgl. Reinhardt, Macht (Anm. 43), 323-325; Maria A. Uzsceglia, “Factions in the Sacred College in the Sixteenth and Seventeenth Centuries”, in: Court and Politics in Papal Rome. 1492 -1700, hrsg. v. Gianvittorio Signorotto / ders., Cambridge 2002, 99 -131, 115.
[47] Zu den fiskalischen und finanziellen Aspekten der Herstellung von Konsens vgl. Andrea Gardi, „La fiscalità pontificia tra medievo ed età moderna“, in: Società e Storia 33 (1986), 509-557.
[48] Jean de La Bruyère, Les caractères de Theophraste traduits du grec. Avec les caractères ou les moeurs de ce siècle, Paris 1688, Kap.: De la cour, Absatz 57.
[49] Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 565.
[50] Der Sturz des Günstling-Ministers Philipp III., des Herzogs von Lerma, im Jahr 1618 dürfte die Folge des Zusammenbruchs der Geschlossenheit seines Familien- und Klientelverbandes gewesen sein. Vgl. Hillard von Thiessen, „Außenpolitik im Zeichen personaler Herrschaft. Die spanisch-römischen Beziehungen in mikropolitischer Perspektive“, in: Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605-1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Tübingen 2004, 21-177, hier 157 ff.
[51] Vgl. Boltanski, „Pouvoir“ (Anm. 39), 143; Wieland, Fürsten (Anm. 16), 349.
[52] Für Bologna gestützt auf die Befunde von: Reinhardt, Macht (Anm. 43); dies., „Quanto è differente Bologna? La città tra amici, padroni e miti all’inizio del Seicento“, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica, 2001, 107-146, hier 136; zum Vergleich der Integration von Bologna und Ferrara in den Kirchenstaat: Birgit Emich, „Bologneser „libertà”, Ferrareser „decadenza”. Politische Kultur und päpstliche Herrschaft im Kirchenstaat der frühen Neuzeit“, in: Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Ronald G. Asch / Dagmar Freist, Köln / Weimar / Wien 2005, 117 -132.
[53] Emich, „Integration“ (Anm. 38), 17.
[54] Vgl. Reinhardt, Macht (Anm. 43), 355-361.
[55] Vgl. hierzu John F. Padgett / Christopher Ansell, “Robust Action and the Rise of the Meici, 1400-1438”, in: American Journal of Sociology 98 (1998), 1259-1319, 1262 f.
[56] Vgl. Reinhardt, Macht (Anm. 43), 102-138.
[57] Die folgende Zusammenfassung basiert auf : Emich, Integration (Anm. 38).
[58] Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 583.
[59] Dazu ausführlicher: Wieland, Fürsten (Anm. 16), 19 -21.
[60] Dazu Randall Lesaffer, Peace Treaties from Lodi to Westphalia, in: Peace Treaties and International Law in European History. From the Late Middle Ages to World Wax One, hrsg. v. dems., Cambridge 2004, 9-44. „Freundschaft” war einerseits ein juristisch definierter Terminus, andererseits handelt es sich dabei um einen Ausdruck, der in den Kontext der Patronageforschung, der informellen Beziehungen, gehört und der grundsätzlich ein Verhältnis von Gleichrangigen bezeichnet. Auch jenseits von internationalen Rechtsvorstellungen bezeichnete amicitia ein Ideal zwi-schenstaatlichen oder fürstlichen Kontakts, wie Tobias Mörschel, Buona Amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002, darlegt.
[61] Toby Osborne, Dynasty and Diplomacy in the Court of Savoy. Political Culture and the Thirty Years’ War, Cambridge 2002, 93.
[62] Renata Ago, “Giochi di squadra. Uomini e dorme nelle famiglie nobili del XVII secolo”, in: Signori, patrizi, cavaliers nell’età moderna, hrsg. v. Maria A. Visceglia, Bari 1992, 256-264, hier 256; David Cressy, “Kinship and Kin Interaction in Early Modem New England”, in: Past and Present 113 (1986), 38-69, hier 44 ff.; Reinhard, Nepotismus (Anm. 8), 146 ff.; ders., “Papa Pius. Prolegomena zu einer Sozialgeschichte des Papsttums“, in: Von Konstanz nach Trient. Beiträge zur Kirchengeschichte von den Reformkonzilien bis zum Tridentinum. Festgabe für August Franzen, hrsg. v. Remigius Bäumer, Paderborn 1972, 261-299; Alfred Schröcker, „Der Nepotismus des Lothar Franz von Schönborn“, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 43 (1980), 93-157.
[63] Insoweit erscheint die von Kettering getroffene und von Droste zurückgewiesene Unterscheidung zwischen Makler bzw. « broker » und Patron durchaus sinnvoll. Denn selbst wenn es zutreffen würde, dass die Patrone ihre Patronageressourcen allesamt von ihrem Fürsten erhalten hätten und somit die Weiterverteilung immer « brokerage » wäre, so besteht doch immer noch ein Unterschied zwischen der (Weiter-)Gabe von Lehensbesitz und der Vermittlung von Patronageressourcen zwischen einem (gebenden) Patron und einem (nehmenden) Klienten. Zu Ketterings Modell: Sharon Kettering, “Brokerage at the Court of Louis XIV”, in: Historical Journal 36 (1993), 69 - 87; dies., Patrons (Anm. 35), 4.
[64] Die Aufzeichnungen des Gastón de Moncada, Marqués de Aytona, von 1606 bis 1609 Botschafter Philipps III. von Spanien in Rom, lassen erkennen, dass mehr als die Hälfte der in den wöchentlichen Audienzen vorgebrachten Angelegenheiten nicht etwa die zwischenstaatlichen Probleme oder Anliegen der Krone betrafen, sondern die Anliegen Dritter oder des Botschafters selbst. Archivo General de la Fundación Casa Ducal de Medinaceli Sevilla, Außenstelle Toledo, Archivo Histórico, Legajo 55, Rame 8.
[65] von Thiessen, „Außenpolitik“ (Anm. 50), 46 ff; vgl. auch: Osborne, Dynasty (Anm. 61), 52.
[66] Es dürfte schwer fallen, die Validität dieser Werte im vormodernen Kosmos zu bestreiten; gerade deswegen ist jedoch das offenkundige Abweichen von diesen Normen und der rhetorische Umgang mit diesen Devianzen von Interesse bzw. erklärungsbedürftig. Es ist auf jeden Fall nicht damit getan, der Forschung einerseits kruden Moralismus vorzuwerfen und andererseits für sich selbst ein unmittelbares Verständnis frühneuzeitlicher Moral zu reklamieren, wie Droste es tut; vgl. Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 571- 573.
[67] von Thiessen, „Außenpolitik“ (Anm. 50), 57 ff; Wieland, Fürsten (Anm. 16), 160 f.
[68] Darstellung einer solchen Gruppe bei Christian Wieland, „Parteien in Rom, von Florenz aus gesehen. Eine römische Gruppe im diplomatischen Dienst der Medici während des Pontifikats Pauls V. (1605-1621)“, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 82 (2002), 490 -528.
[69] Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 585.
[70] von Thiessen, „Außenpolitik“ (Anm. 50), 118. Das Schreiben des Kardinals im Wortlaut: El amor y aficion que se ha visto en mi en quantas ocasiones [...] no me parece que es justo declararlos. Solo suplico a Vuestra Magestad se sirva de consi derar las mercedes que he recebido en cargos tan importantes [...] y la opinion en que ha puesto mi persona de ser favorecida de su grandeza con tantas demostraciones, y lo que ultimamente por Su Real carta de 25 de pasado (aprovando la respuesta que di al Cardenal Baronio, sobre lo que escrivio tocante à la Monarchia de Sicilia) me promete Vuestra Magestad de acordarse de mi, y de mi acrescentamiento siempre que haya ocasion. In: Archivo General de Simancas, Estado Legajo 984 (Kardinal Colonna an Philipp III., 1606 Januar 20).
[71] Friedrich Edelmayer, „Das soziale Netzwerk der kaiserlichen Gesandten am Hof Philipps II.“, in: Hispania-Austria, Bd. 2: Die Epoche Philipps II. (1556-1598), hrsg. v. dems. München 1999, 89 - 108; Nicole Handschuher, Das Reich in Europa: Die Außenbeziehungen von Kaiser und Reichsständen 1565-1570, Diss., Passau / München 2000; Christian Windler, „’Ohne Geld keine Schweizer’ : Söldnerrekrutierung und Pensionen auf den eidgenössischen Patronagemärkten“, Vortrag, gehalten am 17. 9. 2004 auf dem 45. Deutschen Historikertag in Kiel in der Sektion « Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit ».
[72] Die Form der Patronage, die durch intermediäre Gestalten gekennzeichnet war, sei es durch « brokers », die als Vermittler zwischen Provinz und Zentrale fungierten, sei es durch Günstlinge, gehört seit langem zu den wichtigsten Untersuchungsfeldern der Netzwerk- oder Verflechtungsforschung. Gerade die indirekten Beziehungen zwischen Personen haben also, neben den unmittelbaren und persönlichen, das Interesse der Forschung gefunden, im Gegensatz zu den von Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 565, aufgestellten Behauptungen. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Droste auf das keineswegs unerforschte Phänomen der Günstlingsherrschaft nicht eingeht bzw. es als seine Neuentdeckung (ebd., 585-587) vorstellt. Vgl. z. B. John H. Elliott/Lawrence W. Brockliss (Hrsg.), The World of the Favourite, New Haven 1999.
[73] Zur Kategorisierung des Phänomens des Günstlings vgl. Ronald G. Asch, „Höfische Gunst und höfische Günstlinge zwischen Mittelalter und Neuzeit. 18 Thesen“, in: Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, hrsg. v. Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini (Residenzenforschung, 17), Ostfildern 2004, 515-531, hier 522. An solchen und ähnlichen Ergebnissen zeigt sich, dass die Patronageforschung - anders, als von Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 570, behauptet - das Phänomen konsequent in die Frage nach dem Prozess des « state building » integriert.
[74] Vgl. hierzu die unterschiedlichen Auffassungen in von Thiessen, „Außenpolitik“ (Anm. 50), 174 ff., und Wieland, „Parteien“ (Anm. 68), sowie ders., „Diplomaten als Spiegel ihrer Herren? Römische und florentinische Diplomatie zu Beginn des 17. Jahrhunderts“, in: ZHF 31 (2004), 359-379.
[75] Thomas Mergel, „Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik“, in: GG 28 (2002), 574—606, hier 579.
[76] Mergel, Überlegungen (Antin. 75), 586; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (ZHF, Beiheft 35), Berlin 2005.
[77] Droste, „Patronage“ (Anm. 1), 579, weist auf unterschiedliche Ausgestaltungen von Patronage hin, bleibt aber jeden Hinweis auf konkrete Faktoren und Varianten schuldig.
[78] Reinhard, „Amici“ (Anm. 2), 316 f.
[79] Eine Differenz von katholischen und protestantischen Patronagekulturen im Reich vermuten auch Stefan Brakensiek/Josef Hrdlička/András Vári, „Frühneuzeitliche Institutionen in ihrem sozialen Kontext. Praktiken lokaler Politik, Justiz und Verwaltung im internationalen Vergleich“, in: Frühneuzeit-Info 14 (2003), 90-102, hier 92.
[80] Vgl. Antoni Maczak, „Diskussionsbericht“, in: ders., Klientelsysteme (Anm. 35), 343-361, bes. 343-346; Sharon Kettering, „Patronage in Early Modern France“, in: French Historical Studies 17 (1992), 839-863, hier 844- 850.
[81] Diese von Mousnier getroffene Unterscheidung wird von Droste völlig verwischt, wenn er behauptet, dieser habe in der fidélité die Grundlage der Patron-Klient-Beziehung ausgemacht: ders., „Patronage“ (Anm. 1), 562. Vgl. dagegen Mousnier, « Fidélités » (Anm. 41), 44: « Il convient de distinguer la relation de fidélité sans doute historiquement la plus importante, la relation maître-fidèle, protecteur-créature, de la clientèle et de la féodalité. Elle est distincte de la clientèle en ce que la fidélité est un don de soi réciproque, comportant un élément d’affection, qui évoque l’amour: [...] Elle s’en distingue aussi parce qu’il est, en somme légitime de changer de clientèle, de changer de patron [...] alors qu’il est illégitime, scandaleux, déshonorant, de rompre une fidélité, de changer de maître, bien qu’il en ait des cas assez nombreux. » Die von Mousnier getroffene Unterscheidung zwischen Klient und Getreuem findet auch ihren Niederschlag in: Dictionnaire de l’Ancien Régime, hrsg. v. Lucien Bély, 2. Aufl., Paris 2002. Es findet sich sowohl ein Eintrag « Fidélités », verfasst von Yves Durand, einem Schüler Mousniers (549-550), als auch ein von Arlette Jouanna verfasster Eintrag « Clientèles » (268-270).
[82] Zur Kritik an Mousnier ausführlich Parker, „Class“ (Anm. 7), 192 ff.
[83] Vgl. Kettering, “Patronage” (Anm. 80), 851; dies., Patrons (Anm. 35), 20.
[84] Kristen Neuschel, Word of Honor. Interpreting Noble Culture in Sixteenth Century France, Ithaca 1989, 16—21. Droste folgt begeistert dem Ansatz von Neuschel, ohne die recht zahlreiche und substantielle Kritik wahrzunehmen, vgl. hierzu Kettering, „Patronage“ (Anm. 80), 858; J. Russell Major, „Vertical Ties through Time“, in: French Historical Studies 17 (1992), 863—871; Arlette Jouanna, „Réflexions sur les relations internobiliaires en France aux XVIe et XVIIe siècles“, in: French Historical Studies 17 (1992), 872 -881; Herman, „Language“ (Anm. 24), 1—24.
[85] Herman, „Language“ (Anm. 24), 6.
[86] Perez Zagorin, Ways of Lying. Dissimulation, Persecution and Conformity in Early Modern Europe, Cambridge/London 1990, 330.
[87] Vgl. Webb Keane, “From Fetishism to Sincerity. On Agency, the Speaking Subject, and their Historicity in the Context of Religious Conversion”, in: Comparative Studies in Society and History 39 (1999), 644-664; Aleida Assmann, “Maske - Schweigen - Geheimnis”, in: Zeitsprünge 6 (2002), 42 -58, hier 44; John Martin, “Inventing Sincerity, Refashioning Prudence. The Discovery of the Individual in Renaissance Europa”, in: American Historical Review 102 (1997), 1309 -1342.
[88] Luhmann, Vertrauen (Anm. 29), 38. Zur Semiotik der Dissimulation vgl. Umberto Eco, Le Signe, Paris 1988 (ital. Original, Segno, Mailand 1980), 62-63; Nicoletta Bazzano, « ’A Vostra Eccellenza di buon cuore mi offero et raccomando’. Il linguaggio della politica attraverso il carteggio di Marco Antonio Colonna (1556-77) », in: La nobiltà romana in età moderna. Profil istituzionali e pratiche sociali, hrsg. v. Maria A. Visceglia, Rom 2001, 133-164.
[89] Diese Skizzen sind keineswegs erschöpfend; vgl. die grundlegenden Ausführungen bei Michael Stolleis, Löwe und Fuchs. Eine politische Maxime im Frühabsolutismus, in: ders., Staat und Staatsräson in der Frühen Neuzeit, Frankfurt 1987, 21-36; allerdings scheint die von Stolleis suggerierte Übersetzung von dissimulatio (29) mit « Betrug » weit überzogen, es handelt sich viel eher um Verschleierung, Täuschung und Verstellung; ders., „Arcana Imperii und Ratio Status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jahrhunderts“, in: ebd., 37-72; Robert Bireley, The Counter-Reformation Prince. Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill/London 1990; Chiara Continisio / Cesare Mozzarelli (Hrsg.), Repubblica e virtù. Pensiero politico e monarchia cattolica fra XVI e XVII secolo, Rom 1995; Michael Behnen, “’Arcana - haec sunt ratio status’. Ragion di stato und Staatsräson. Probleme und Perspektiven (1598-1651)“, in: ZHF 14 (1987), 129 -195.
[90] Vgl. Wieland, Fürsten (Anm. 16), 148, 356; Jean-Pierre Cavaillé, Dis/simulations. Jules César Vanini, Francois La Mothe Le Vayer, Gabriel Naudé, Louis Machon et Torquato Accetto. Religion, morale et politique au XVII siècle, Paris 2002, 335-357; Peter Burke, Die Geschicke des „Hofmann”. Zur Wirkung eines Renaissance-Breviers über angemessenes Verhalten, Berlin 1996, 43-45, 142-146; [Cardinale Mazzarino], Breviario dei politici, hrsg. v. Francesco Perfetti, Rom 1994, 21; Baltasar Gracian, Oraculo manual y Arte de Prudencia, Madrid 1647; La Bruyère, Les Caractères (Anm. 48), X. Kapitel, Absatz 35; Francis Bacon, « Von der Heuchelei und Verstellung », in: ders., Essays, hrsg. v. Helmut Winter, übers. v. Paul Melchers, Frankfurt a. M. 1993, 94-98.
[91] Grundlegend Johann P. Sommerville, “The ,New Art of Lying’: Equivocation, Mental Reservation and Casuistry”, in: Conscience and Casuistry in Early Modem Europe, hrsg. v. Edmund Leites, Cambridge /Paris 1988, 159-184; neuerdings Harald Braun/Edward Vallance (Hrsg.), Contexts of Conscience in Early Modern Europe 1500 -1700, London 2004; Perez Zagorin, Ways (Anm. 86), 1-14.
[92] Vgl. Cavaillé, Dis/simulations (Anm. 90), 350. Allgemeine Überlegungen in dieser Hinsicht auch bei Rosario Villari, L’elogio della dissimulazione. La lotta politica nel Seicento, Bari 1993; Klaus Reichert, „Neue Formen des Geheimen am Beginn der Moderne“, in: Zeitsprünge 6 (2002), 12 -19, 17; Melissa M. Bullard, „Secrecy, Diplomacy and Language in the Renaissance“, in: ebd., 77 -97.
[93] Z. B. Alfonso de Ligorio, Praxis confessarii ad bene excipiendae confessiones ad Instructionem Tyronum Confessariorum, Bassano 1774, 15 ff; Conférences ecclésiastiques du diocèse d’Amiens sur la pénitence (1695), zit. in Jean Delumeau, L’aveu et le pardon. Les difficultés de la confession XIIIe-XVIIIe siècle, 2. Aufl., Paris 1996, 24. Zur schwierigen Implantierung der Gewissenskontrolle vgl. auch Roberto Rusconi, L’ordine dei peccati. La confessione tra Medioevo ed età moderna, Bologna 2002.
[94] Hierzu auch die Beobachtungen bei Robert J. Kalas, “Marriage, Clientage, Office Holding and the Advancement of the Early Modern French Nobility. The Noailles Family of Limousin”, in: Sixteenth Century Journal 27 (1996), 365 -383, hier 379, dass « requests for assistance or advancement [...] are not part of the authors’ vocabulary ». Dies findet seine Entsprechung bei Mazarin, Breviario (Anm. 90), 43. Zugleich ein Hinweis auf die Beziehung zwischen Oralität und Schriftlichkeit sowie auf das, was sich grundsätzlich in Korrespondenzen finden lässt. Guido O. Kirner, „Politik, Patronage und Gabentausch. Zur Archäologie vormoderner Sozialbeziehungen in der Politik moderner Gesellschaften“, in: Berliner Debatte Initial 14 (2003), 168-183, 170 f., identifiziert sogar die Verschleierung als Wesenselement des Patron-Klient-Verhältnisses.
[95] Peter Dinzelbacher, „Mönchtum und Kultur“, Bd. 1. Mittelalter, in: Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Peter Dinzelbacher/James L. Hogg, Stuttgart 1997, 1- 18, hier 1.
[96] Vgl. hierzu die Überlegungen von Victor Turner. Er hat dargelegt, dass in traditionalen Gesellschaften Personen in « Schwellensituationen » - etwa « rites de passage » - magisch-religiöse Eigenschaften zugeschrieben werden. Den von der « Struktur » der Gesellschaft Ausgeschlossenen wurden aufgrund ihrer « Randständigkeit » bestimmte Sakraleigenschaftenzugesprochen und, damit verbunden, übernatürliche Fähigkeiten zuerkannt. Turner nennt die frühen Franziskaner als Beispiel für eine dauerhaft randständige Gruppe; siehe Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Antistruktur, Frankfurt a. M. 1989, 125 ff.
[97] Diesen Begriff führte Max Weber ein; er unterscheidet damit die « Virtuosenreligiosität » des Ordensklerus von der Massenreligiosität der Laien. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, 7. Aufl., Tübingen 1978, 545.
[98] Zum Spannungsfeld zwischen mendikantischem Ideal und seelsorgerischer, karitativer und diplomatischer Praxis am Beispiel der Kapuziner sowie zur Anwendung des Konzepts von Viktor Turner auf diesen Orden: Hillard von Thiessen, Die Kapuziner zwischen Konfessionalisierung und Alltagskultur. Vergleichende Fallstudie am Beispiel Freiburgs und Hildesheims 1599 -1750, Freiburg i. Br. 2002, 253 ff.
[99] Die Achtung betraf allerdings zunächst nur Pensionen; Salzkonzessionen des spanischen Königs gerieten erst im späten 16. Jahrhundert in Misskredit; vgl. Windler, „Geld“ (Anm. 71). Zum Wandel des Korruptionsdiskurses in der Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert vgl. Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000.
[100] Zur protestantischen Stadt als christlicher Heilsgemeinschaft (corpus christianum): Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation, bearb. Neuaufl., Berlin 1987, 12 f. und 49; vgl. auch Walter Hartinger, „Weltliche Obrigkeit und praxis pietatis in der Frühen Neuzeit“, in: Jahrbuch für Volkskunde 21 (1998), 5 -25, hier 12.
[101] Vgl. zum Hin- und Herschalten zwischen Weltbildern am Beispiel der Aneignung von Glauben: Jens I. Engels/Hillard von Thiessen, „Glauben. Begriffliche Annäherungen anhand von Beispielen aus der Frühen Neuzeit“, in: ZHF 28 (2001), 333-357, 350 f.
[102] Peter Burke, „Der Aufstieg des buchstabengetreuen Denkens“, in: Freibeuter 57 (1993), 19-36.